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Interview: Henning Bleyl
taz: Frau Motschmann, Sie sind Mitglied der St.-Martini-Gemeinde, die es einer Pastorin unter Verweis auf Timotheus 2,12 – „einer Frau gestatte ich es nicht, dass sie lehre“ – untersagt, Talar zu tragen und die Kanzel zu besteigen. Überrascht Sie dieses Predigtverbot?Elisabeth Motschmann: Ja. Vor allem finde ich es seelsorgerisch nicht vertretbar, dass so ein theologischer Streit am Tag einer Beerdigung begonnen wird, wo die Betroffenen nun wirklich andere Nöte haben. Das sage ich auch als kirchenpolitische Sprecherin der CDU. taz: Andererseits haben Sie sich jahrelang, etwa mit Ihrem Bestseller „,Nur’-Hausfrau?“, selbst für eine konservative Rollenzuordnung und die Trennung von weiblichen und männlichen Betätigungsfeldern stark gemacht.
Ist ein theologisches Primat des Mannes nicht die konsequente Fortschreibung eines solchen Weltbildes?
EM: Das sehe ich nicht so, dagegen steht auch meine eigene Biographie. Also: Ich habe ein positives Verhältnis zur Frauenordination. Es kommt schließlich auf den Text an, nicht auf die Textilien. Wenn das Evangelium lauter und rein verkündet wird, ist es egal, ob ein Mann oder eine Frau das tut.
taz: Ist es als Mitglied einer „bibeltreuen Gemeinde“ denn konsequent, schwierige Stellen wie Timotheus 2,12 „auszuklammern“ – oder muss man dann nicht die gesamte „Wortgläubigkeit“ in Frage stellen?
EM: Man kann bibeltreu sein, ohne alles eins zu eins umzusetzen. Wenn wir krank sind, gehen wir heutzutage selbstverständlich zum Arzt und nicht „zu den Ältesten“ – obwohl der Jakobusbrief 5,14 dazu auffordert. Es gibt in der Bibel Handlungsanweisungen, die nicht mehr in unsere Zeit passen, wozu eben auch „die Frau sei still in der Gemeinde“ gehört. Das stammt aus einer Zeit, in der Frauen nicht schriftgelehrt, sondern vor allem für das innerhäusliche Leben zuständig waren. Im Übrigen ist die Bibel ja voller Frauen, die sehr wohl geredet haben, sogar schon zu alttestamentarlicher Zeit: Da ist die große Beterin Hannah oder Rebekka (?), die eine charismatische Führerin ihres Volkes war.Taz: In den 80ern galten Sie als Antipodin der feministischen Theologie und haben sich mit Alice Schwarzer in Talkshows duelliert. Hat sich Ihr Weltbild verändert?EM: Nach einer langen eigenen Berufstätigkeit sieht man manche Dinge in der Tat nicht mehr so krass wie früher. Man lernt die Ungerechtigkeit kennen, dass Frauen schlechter bezahlt werden und mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Aber ich bin immer noch gegen die Gleichmacherei der Geschlechter und halte es auch für falsch, Kinder unter drei Jahren – wenn es nicht unbedingt sein muss – in Krippen zu geben. Taz: Sie haben selbst Theologie studiert. Hätte Sie Ihr Mann, der die Martini-Gemeinde 20 Jahre lang geleitet hat, auf die Kanzel gelassen?EM: Die Frage hat sich nicht gestellt, weil ich so eine Konkurrenz-Situation immer vermieden hätte.
taz: Haben Sie sich denn für eine Änderung der Gemeindeordnung von St. Martini eingesetzt?
EM: Ich wusste nicht, dass dort die Berufung von Frauen als Pastoren ausgeschlossen wird, sonst hätte ich mich schon entsprechend engagiert. In St. Martini gab es mit Frau Witten (?) ja durchaus schon mal eine hauptamtliche Pastorin.
Taz: Der Frauenausschluss-Passus wurde während der Amtszeit Ihres Mannes in die Gemeindeordnung eingefügt.
EM: Daran war er aber nicht speziell beteiligt, damals wurde die Gemeindeordnung in einem umfangreichen Prozess insgesamt in vielen Punkten überarbeitet. Außerdem ist dieser Passus nur Teil der „Lebensordnung“, nicht der juristisch verbindlichen „Rechtsordnung“. Er bezieht sich auch lediglich auf die Berufung in das Pfarramt von St. Martini – nicht auf die Frage, ob Pastorinnen als Gäste in St. Martini predigen dürfen.Taz: Schon in der Ära Motschmann galt die Gemeinde als konservativ-evangelikal orientiert. Ist sie jetzt fundamentalistisch geworden? Immerhin bezeichnet der neue Pastor auch Homosexualität als „Sünde“.EM: Dieses Etikett halte ich für falsch. Die Gemeinde hat eine starke reformierte Tradition, und dort ist die Frauenordination gar nicht so umstritten. Was in Martini jetzt passiert, ist eigentlich sehr katholisch.Taz: Dort ist ein Kanzelverbot für Frauen der Normalfall.
EM: Niemand fragt Propst Lüttel, warum keine Frau in St. Johann predigt. Als CDU sind wir allerdings dazu verpflichtet, beiden Volkskirchen gegenüber loyal zu sein.