WELT AM SONNTAG, 4. November 1984
Von Elisabeth Motschmann
„Da kennen Sie unsere Männer schlecht. Die wollen von uns rein jar nischt wissen. Die meisten erlooben den Frauen nich, daß se in ‘n Versammlung jehn oder in ‘nen Verein. Daheem sollen se sitzen un Strümpfe stopfen.“
Diese Antwort bekam die bekannte Sozialdemokratin Lilly Braun, als sie Anfang unseres Jahrhunderts auf einer Parteifrauenversammlung den guten Rat erteilte, mit den gutwilligen Männern in der Partei zusammenzuarbeiten.
Wollen Politiker heute mehr von engagierten Frauen in den Parteien wissen als damals? Eine Antwort auf diese Frage geben die jungen Frauen selbst mit ihrer Stimmabgabe. Sie kehren bei den Wahlen den etablierten Parteien zunehmend den Rücken.
Zwar wird um die Gunst der Jugend im allgemeinen von allen politischen Seiten geworben, um die Gunst junger Frauen im besonderen werben jedoch vor allem und mit viel Geschick die Grünen. Die etablierten Parteien lassen die Frauen buchstäblich links liegen, nehmen ihre Fragen und Probleme kaum auf, sprechen eine andere Sprache, so daß die gegenseitige politische Sprachlosigkeit immer größer wird.
„Die Männer kennen die Frauen zu wenig, um sie befreien zu können; sie lieben sie in den überlieferten Rollen zu sehr, um sie befreien zu wollen.“ Mit diesen Worten trifft die Paderborner Literaturprofessorin Gertrud Höhler den Kern des Problems, und ihre Aussage unterscheidet sich lediglich in der Diktion von den eingangs zitierten Worten der Berliner Parteifrau.
War es bisher so, daß die politisch interessierten und engagierten Frauen sich an die männlich geprägte Welt der Politik anpassen mussten, so lehnen junge Frauen gerade dies entschieden ab. Sie sind selbstbewußt und denken gar nicht daran, um die politische Gunst der Männer zu betteln. Sie warten nicht einmal mehr darauf, angehört zu werden, sie erwarten vielmehr, daß ihre Probleme in Gesellschaft, Familie und Beruf ernst genommen und politisch gelöst werden. Sie erwarten, daß ihnen Verantwortung in allen Bereichen übertragen wird. Politiker, die dies nicht verstehen – und davon gibt es noch allzu viele -‚ erregen allenfalls ihr Mitleid.
Viele junge Frauen ziehen Konsequenzen. Sie setzen ihre politische Arbeit in immer zahlreicher werdenden autonomen Frauengruppen, -kreisen, -initiativen, Selbsterfahrungsgruppen, Frauentreffs ein. Die Frauenorganisationen der etablierten politischen Parteien und der herkömmlichen, meist überalterten Frauenverbände haben es schwer, sich dagegen zu behaupten. Ein Grund dafür könnte darin liegen, daß sie versuchen, es den Männern gleichzutun, ihnen in jeder Hinsicht nachzueifern, sich ihren Handlungsgesetzen zu unterwerfen, anstatt neue, eigene Maßstäbe zu setzen.
Wer die junge, selbstbewußte und mitdenkende Frauengeneration vorschnell in die ferninistische Schublade einordnet, dokumentiert, daß er blind für Entwicklungsprozesse unserer Zeit ist. Neben Frauen, die sich ausschließlich für Kochrezepte, Mode und Königinnen interessieren, und denjenigen, die wie Alice Schwarzer mit ihrem feministischen Kopf durch die Wand wollen, wächst die Zahl der Frauen, die sich mit wachem Interesse für politische Arbeit engagieren. Wo sie gebraucht werden, gehen sie mit Freude an die Aufgaben heran.
Ihre Einstellung zu politischen Fragen unterscheidet sich jedoch maßgeblich von den Anschauungen vieler männlicher Politiker. Für sie stehen oftmals andere Facetten desselben Problems im Mittelpunkt der Überlegungen.
Friedenspolitik etwa bedeutet ihnen viel. Verteidigungspolitik liegt ihnen fern.
Wie glaubwürdig ist eine Regierungspartei, die in ihrem Grundsatzprogramm der Mutter, die in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder auf die Ausübung eines Erwerbsberufes verzichtet, verspricht, sie dürfe „nicht wirtschaftlich, rechtlich und sozial benachteiligt werden“?
Wo sind die Wiedereinstiegsmöglichkeiten in den Beruf nach der Erziehungszeit?
Welchen Einfluß haben die neuen Technologien auf die Arbeitsplätze der Frauen?
All dies sind offene Fragen, die sich nicht dadurch beantworten lassen, daß eine Enquete-Kommission im Bundestag feststellt, daß noch viel getan werd muß.
Der Hamburger Theologe Helmut Thielicke hat jüngst ein Rezept verraten, das er an junge Redner weitergegeben hat: „Ihr müßt für den Typ der Hörer reden, den ihr gerne hättet, auch wenn noch niemand davon da ist. Viele machen den Fehler, sich dem Diktat der Anwesenden zu fügen.“
Dieses Rezept sollten auch Politiker beherzigen. Sie müssen lernen, für den Typ junger Frauen zu reden und zu arbeiten, den sie im Grunde gern in den eigenen Reihen hätten.
Dann werden sie kommen – die jungen Frauen -‚ sie werden gerne kommen und zeigen, was sie können.
Elisabeth Motschmann, 32, Pfarrersfrau aus Itzehoe, ist Pädagogin und Mutter von drei Kindern