Sind wir auf dem Weg in die mutterlose Gesellschaft?

DIE WELT, 20. März 1985

Von E. MOTSCHMANN

Nur-Hausfrauen gibt es heute praktisch gar nicht mehr.“ So heißt es im Deutschen Monatsblatt, der CDU-Parteizeitung vom Januar 1985. Damit wird ein immer noch erheblicher Teil von Frauen in unserem Land für nicht mehr existent erklärt, und das von einer Partei, die sich zumindest bisher zum Anwalt der nicht erwerbstätigen Frauen und Mütter gemacht hat.

Auch die kürzlich veröffentlichten „Leitsätze für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau“, die auf dem Essener Parteitag beraten und verabschiedet werden sollen, legen die Sorge nahe, daß die berufstätige Mutter nun auch in der CDU zum obersten Leitbild geworden ist.

Neben vielen wichtigen, guten Anstößen, die diese „Leitsätze“ ohne Frage enthalten, und der ebenfalls positiv zu bewertenden Tatsache, daß die Frauenfrage nicht länger allein in den Händen von Feministinnen bleibt, sind in das Papier Positionen aufgenommen worden, die die Frauenbewegung schon vor vielen Jahren auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Dazu gehört die viel diskutierte Arbeitsplatzgarantie ebenso wie die Angleichung der Rollen von Mann und Frau, die in letzter Konsequenz zum Rollentausch führt.

Obwohl die Unterschiede von Mann und Frau immerhin noch in einem Nebensatz eingeräumt werden – eine mutige Feststellung, für die man dankbar sein darf -‚ wird eine Arbeitsteilung von Mann und Frau abgelehnt. Dies sei „überholtes Denken“, eine „Festlegung auf bestimmte Rollen“, die „Forderung eines starren Leitbildes, nach dem Männern und Frauen die Gestaltung ihres persönlichen Lebensweges vorgeschrieben wird“.

Bedauernd wird festgestellt: „Noch werden Hausarbeit und Kinderbetreuung weitgehend von Frauen geleistet.“ Folgt man einem wissenschaftlichen Gutachten, das der Bundesfamilienminister im vergangenen Jahr herausgegeben hat, so sollen Frauen künftig davon abgebracht werden, diesen Dienst für die Familie zu tun die in den Familien beobachtbare Tendenz, die Familientätigkeit der Frau zuzuweisen, muß revidiert werden.“
Diese Aussagen stimmen nachdenklich. Zunächst wäre es merkwürdig, ‘wenn auf einem. CDU-Parteitag diejenigen für die derzeitige Fassung der Leitsätze die Hand heben würden, die in überwältigender Mehrheit eben jenes angeblich so „starre und überholte Leitbild“ einer Arbeitsteilung von Mann und Frau praktizieren, und das mit guten Gründen und aus tiefster Überzeugung.

Waren es nicht die Christdemokraten, die im Gegensatz zur sozialdemokratischen Frauenpolitik immer davon ausgingen, daß in den ersten Lebensjahren eines Kindes die Betreuung der Mutter besonders wichtig und wünschenswert ist? Darum wurden etwa die Tagesmütter-Modellversuche abgelehnt.

Im Berliner Grundsatzprogramm von 1971 war immerhin noch vom „besonderen Lebenslauf“ der Frau die Rede. Obwohl sich an diesem „besonderen Lebenslauf“, der eben schon dadurch gekennzeichnet ist, daß es immer noch die Frauen sind, die die Kinder zur Welt bringen, in den vergangenen zehn Jahren wenig geändert haben dürfte, sind derartige Formulierungen in den „Leitsätzen“ nicht zu finden. Offensichtlich hat der Feldzug von Feministinnen und Sozialdemokratinnen gegen eine „geschlechtsspezifische Arbeitsteilung“ seine Wirkung nicht verfehlt. Steter Tropfen höhlt auch in dieser Frage den Stein. Nicht umsonst werden die Leitsätze von diesen progressiven Frauen sehr gelobt.
Schon vor zehn Jahren verteilten Berliner SPD-Frauen ein Flugblatt, das mit folgenden Worten begann:
„Entgegen allen anders lautenden Erklärungen behaupten wir, daß jegliche geschlechtliche Arbeitsteilung, die über den Akt des Gebärens der Frau hinausgeht, gesellschaftlich und nicht natürlich biologisch bedingt ist. Die totale Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ist eine Hauptvoraussetzung für die Befreiung der Frauen!“
Was soll man davon halten, wenn in den „Leitsätzen“ der CDU genau dieser alten feministischen Forderung Rechnung getragen wird, indem es ins Belieben gestellt wird, welcher „Elternteil“ die Betreuung der Kinder übernimmt? So richtig es sein mag, auch dem Mann grundsätzlich die Möglichkeit einzuräumen, eine Zeitlang nicht erwerbstätig zu sein, um sich ganz der Familie zu widmen, so falsch ist es, den Eindruck zu erwecken, es sei gleichgültig, wer von beiden die erste Zeit beim Kind bleibt.

Mann und Frau sind keine beliebig austauschbaren Schachfiguren. Ihre Verschiedenheit, die in unzähligen wissenschaftlichen Untersuchungen immer wieder belegt wurde und im übrigen auch ohne Wissenschaft für jeden spürbar und erkennbar ist, befähigt Mann und Frau, Mütter und Väter, auch zu Verschiedenem. Väter, die versuchen, gute Mütter zu sein, sind keine guten Väter mehr und umgekehrt. Ein Rollentausch ist für alle Beteiligten, insbesondere aber für das Kind, nicht wünschenswert.

Geht man davon aus, daß die Betreuung und Erziehung eigener Kinder für die Frau eine der schönsten Aufgaben überhaupt ist, bleibt es ohnehin unverständlich, warum sie ohne zwingenden Grund dem Mann übertragen werden soll. Oder hat auch die CDU die Überzeugung verloren, daß Kinder nicht nur das Leben bereichern, sondern Freude bringen?
Warum aber fällt das Wort Freude in den „Leitsätzen“ nur noch im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit einer Frau, nicht aber im Blick auf das Dasein als Hausfrau und Mutter? Stattdessen scheut man sich, überhaupt noch von der „Mutter“ zu reden. Frauen werden allenfalls davor gewarnt, sich auf die „Aufgabe der Mutter und Hausfrau“ zu „beschränken“.

Wenn die Feministin Herrad Schenck dem Familienminister ein „beinahe feministisches Vokabular“ bescheinigt, so hat sie darin nicht ganz unrecht. Vielleicht sollte sich Heiner Geißler einmal zu Herzen nehmen, was die ehemalige französische Feministin Christiane Collange „Der Vater solle zwei Jahre lang Urlaub nach der Geburt des Kindes bekommen – glauben Sie das? … Besser ist es, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, um zu wissen, worauf man sich einläßt. Von seltenen Fällen einmal ganz abgesehen, bleibt der Vater immer der Vater, und auch jene Männer, die guten Willens sind und tatkräftig mithelfen, nehmen der Mutter letztlich die Verantwortung für die Erziehung nicht ab.“
Nicht nur in Frankreich, sondern auch bei uns ist die Vorstellung und Bemühung, künftig mehr Männer zu „Hausmännern“ zu machen, unrealistisch. Sinnvoller ist es, Mütter zu ermutigen und zu bestärken, in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder ihre Berufstätigkeit vorübergehend aufzugeben oder doch zurückzustellen, um ganz für die Familie da zu sein. Dies ist immer noch das Nächstliegende und nach allen Erfahrungen für die Kinder das Beste.
Für Christiane Collange, die bekennt und zugleich bereut, am „großen Feldzug zur Glorifizierung der Freuden des Berufslebens teilgenommen zu haben“, ist die Zeit gekommen, „daß> man erkennt, was für eine ganz einfache Art es gibt, Mutter zu sein: aus Freude daran, des Glückes wegen, ganz der Bestimmung der Frau zu leben“.Diese Einsicht und diesen Mut kann man allen Verantwortlichen in unserem Staat nur wünschen. Der Weg in eine mutterlose Gesellschaft wäre ebenso verhängnisvoll wie der von Alexander.