Minarette
sind das sichtbare Symbol des Islam. Die Volksabstimmung in der
Schweiz hat gezeigt, dass der Umgang mit den Muslimen noch immer ein
angstbesetztes Thema ist. Die Schweizer stimmten mehrheitlich gegen
den Bau weiterer Minarette. Die Diskussion in Deutschland sieht
anders aus. Dennoch lösen die Bauten von Moscheen auch bei uns immer
wieder lebhafte Diskussionen aus, die gekennzeichnet sind von
Zustimmung und Ablehnung. Die im Grundgesetz garantierte
Religionsfreiheit wird zwar von der überwiegenden Mehrheit der
Deutschen bejaht, die Ausübung dieser Freiheit stößt jedoch nicht
nur auf Verständnis und Toleranz. Dabei richtet sich die Kritik
insbesondere gegen Islamisten.
Diese Tatsache darf nicht
ignoriert und die Ängste müssen ernst genommen werden. Deshalb muss
der Umgang mit den Muslimen diskutiert und geklärt werden. Das Thema
gehört auf die politische Tagesordnung. Das gilt für den Bund
ebenso wie für die Bundesländer, damit die Stimmung aus der Schweiz
nicht auch in unserem Land Platz greift. Die Religionsfreiheit und
ihre Ausübung sind ein hohes und schützenswertes Gut, dass nicht
zur Disposition gestellt werden darf. Es wäre wünschenswert,
wenn das problematische Votum der Schweizer eine Diskussion auslösen
würde, die nicht nur in Deutschland und in der westlichen
Welt, sondern auch in der islamischen, dazu führt, dass
Religionsfreiheit in allen Ländern gelten muss: in der westlichen
Welt für die Muslime und in den islamischen Ländern für Christen.
In Deutschland fordern eine Reihe von Muslimen einen Staatsvertrag, der sich orientiert an den Staatskirchenverträgen mit der Katholischen und Evangelischen Kirche sowie der jüdischen Gemeinde. Bisher gibt es in keinem Bundesland einen solchen Staatsvertrag. Bremer Muslime, vertreten durch den Dachverband Schura, streben eine Vorreiterrolle der Hansestadt an. Ein Staatsvertrag könnte die Mitwirkung der Muslime in allen staatlichen Einrichtungen/Aufsichts- gremien sowie im öffentlich rechtlichen Rundfunk eben regeln wie z.B. muslimische Feiertage, der Islamunterricht an Schulen, die Ausbildung von Imamen oder das eigenständige Betreiben von muslimischen Friedhöfen.
Die Muslime berufen sich auf Art. 140 des Grundgesetzes. Darin heißt es: „ Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“
Angesichts der ständig wachsenden Zahl der Muslime in unserer
Gesellschaft ist der Wunsch nach rechtlichen Regelungen verständlich.
Die Vertreter des Staates müssen sich dieser Herausforderung stellen
und den Dialog mit den Muslimen führen.
– Wer Integration will,
muss den Dialog führen.
– Wer unsere freiheitliche
Rechtsordnung schützen will, muss den Dialog führen.
– Wer die
im Grundgesetz zugesicherte Religions- und Meinungsfreiheit ernst
nimmt, muss den Dialog führen.
Das bedeutet nicht die Aufgabe der eigenen Position. „Verschenkt euch und vor allem eure Verfassung nicht“, schreibt die gebürtige Türkin Necla Kelec in ihrem Bestseller „Die fremde Braut“. Nein, wir wollen weder unsere Verfassung, noch unseren eigenen Glauben verschenken, aber wir müssen das Zusammenleben mit Menschen anderen Glaubens regeln. Das Thema ist bei manchen Deutschen, insbesondere bei manchen Christen angstbesetzt. Das braucht und darf es nicht zu sein. Das Zusammenleben mit Menschen anderen Glaubens ist in einer globalisierten Welt eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben überhaupt. Die Dominanz der Ökonomie angesichts der Finanzkrise darf nicht zur Vernachlässigung oder Vertagung kultureller Integrationsprozesse führen.
Voraussetzung für einen Staatsvertrag wäre die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Dazu erklärte Wolfgang Schäuble, dass die Entwicklung in unserem Land auf eine Anerkennung des Islams als Körperschaft des öffentlichen Rechts hinauslaufe. Damit verbunden sei allerdings die Absage an alle Tendenzen, die darauf abzielen, Islamisten ein Mitspracherecht einzuräumen und innerhalb unseres Landes mit Hilfe von Moscheevereinen Parallelgesellschaften aufzubauen, in denen im Zweifelsfall die eigenen Religionsführer ein Menschenbild und Rechtsgrundsätze vertreten, die nicht mit dem Grundgesetz und den Gesetzen unseres Landes in Einklang stünden.
Wie schwierig der Dialog mit dem Islam ist, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es innerhalb der muslimischen Gemeinschaft sehr unterschiedliche Gruppen und Positionen gibt.
Das betrifft bereits die Frage, wer eigentlich innerhalb der islamischen Gemeinschaft als ihr allgemein anerkannter Vertreter die notwendigen Gespräche mit den staatlichen Stellen führen soll? Da gibt es einen Vorsitzenden des Islamrates für die Bundesrepublik, ferner einen Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime und schließlich einen Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V., kurz: Ditib. Alle drei Spitzenverbände repräsentieren einen Teil der Muslime in Deutschland.
Einige islamische Verbände haben sich im Rahmen der von der Bundesregierung angeregten Islamkonferenz zu einem „Koordinierungsrat der Muslime“ zusammengeschlossen. Ezhar Cezairli, Vorsitzende des Deutsch-Türkischen Clubs“, hat in Frankfurt eine Initiative säkularer Muslime gegründet und sitzt im Plenum der Islamkonferenz. Sie sagt kritisch über den „Koordinierungsrat der Muslime“, dass dieser Dachverband „über den Kopf von 3,3 Millionen Muslimen hinweg geschehen“ sei, „nur fünfzehn Prozent der hier lebenden Muslime sind darin organisiert.“ Erschwerend komme hinzu: „Nach islamischen Verständnis darf keine Institution zwischen Gott und dem Individuum stehen und niemand für alle Muslime sprechen.“
Unklar scheint innerhalb der islamischen Gemeinschaft auch das Verhältnis von Grundgesetz und Scharia, der islamischen Rechtsordnung, zu sein. Koran und Prophetentradition zielen darauf ab, politisch dominant zu werden. Können Muslime diesen Anspruch aufgeben? Der Göttinger Politikwissenschaftler Bassam Tibi, selber Moslem, gibt zu bedenken: „Wer sich in der Islam-Diaspora Europas auskennt, weiß, dass nicht nur die Islamisten von einem islamischen, von der Scharia beherrschten Europa träumen; auch orthodoxe Moslems tun dies und rechnen Europa durch demographische Islamisierung durch Migration zum Dar al-Islam/Haus des Islam“. Nicht wenige Moscheevereine verstünden sich als „Speerspitze der Islamisierung Europas“.
Ungeklärt ist weiterhin die Rolle der Frau in der islamischen Gemeinschaft. Kann eine Muslimin die im Grundgesetz verbrieften Rechte ungehindert in Anspruch nehmen? Das bestreitet Necla Kelek, die die Hamburger Justizbehörde zu Fragen der Behandlung türkisch-muslimischer Gefangener berät. Sie nennt erschütternde Beispiele für die Unterdrückung von Frauen: Zwangsheiraten, die Vorrangstellung des Mannes gegenüber der Frau, ihr minderer Status als Zeugin vor Gericht, ihre Benachteiligung im Erbrecht, die Verpflichtung, ein Kopftuch zu tragen.
Wenn auch derartige Aussagen und Fakten sicherlich nicht verallgemeinert werden dürfen, so sind sie doch ein Indiz dafür, dass noch eine Reihe von Fragen geklärt werden müssen, ehe es in Deutschland und damit auch in Bremen zu tragfähigen staatsrechtlichen Verträgen zwischen Staat und islamischer Gemeinschaft kommen kann. Dieses Ziel sollte aber durch Bemühungen auf beiden Seiten im Geist der Toleranz weiterhin verfolgt werden, damit sich kein Staat im Staate dauerhaft etabliert. Auch hier gilt: Nicht nur übereinander, sondern miteinander reden. Gerade wegen der Langsamkeit kultureller Prozesse muss der Dialog kontinuierlich fortgesetzt werden. Das Grundgesetz der Bundesrepublik und unsere Wertordnung stehen dabei nicht zur Disposition.
Bremen, den 1. Dezember 2009