von Elisabeth Motschmann
Nicht Chromosomen, sondern allein die Leistung sollte darüber entscheiden, ob Männer oder Frauen in unserer Gesellschaft weiterkommen, Spitzenfunktionen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien oder Gewerkschaften einnehmen, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit erhalten oder zur Schaffermahlzeit eingeladen werden. Eigentlich sollte diese Position selbstverständlich sein – 60 Jahre nach der Verankerung der Gleichberechtigung im Grundgesetz und 90 Jahre nachdem Frauen das Wahlrecht eingeräumt wurde. Leider ist Gleichberechtigung jedoch nach wie vor nicht so selbstverständlich wie viele meinen – nicht in der Bundesrepublik und auch nicht in Bremen.
Gleichberechtigung steht auf dem Papier, das bekanntlich geduldig ist, Gleichberechtigung ist in aller Munde, zur Gleichberechtigung bekennt sich jeder, der auf sich hält, Gleichberechtigung darf in keiner politischen Rede fehlen. Wir haben Gleichstellungsgesetze und Gleichstellungsbeauftragte. So weit so gut. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus?
Noch immer gibt es viel zu wenige Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft, in der Politik, in den Verwaltungen, in der Wissenschaft, in den Medien, in den Aufsichtsräten etc.
Noch immer verdienen Frauen im Durchschnitt 25 Prozent weniger als Männer. In Bremen ist der Durchschnitt sogar schlechter als im gesamten Bundesgebiet.
Noch immer ist die Bildungsrendite bei Frauen schlechter als bei Männern.
Noch immer werden Frauen weitgehend alleingelassen bei der Kindererziehung und der Hausarbeit.
Noch immer ist der Wiedereinstieg in den Beruf nach einer Familienphase ein großes Problem. Angesichts der Gesetzeslage und der erwähnten Absichtserklärungen ist diese Bilanz peinlich.
Es gibt allerdings auch eine positive Bilanz. Frauen haben im Durchschnitt bessere Schulabschlüsse und bessere akademische Abschlüsse als Männer. Frauen sind belastbar, viele vereinbaren virtuos Kinderbetreuung und Beruf. Frauen haben aufgrund ihrer anderen Biographien eine höhere soziale Kompetenz. Sie sind flexibel und nehmen auf ihre Umwelt und die Arbeitsbedingungen mehr Rücksicht. Wir müssen auch konstatieren, dass sie trotz mancher Widerstände in den vergangenen Jahrzehnten weitergekommen sind und in viele Berufe sowie in einige Führungspositionen ein – und aufgerückt sind. Schließlich haben wir sogar eine Bundeskanzlerin.
Wie aber soll es weitergehen? Sollen sich Frauen zufriedengeben mit den erreichten Fortschritten? Ganz sicher nicht. Jeder erreichte Fortschritt ist dem Einsatz – mitunter auch dem Kampf – von couragierten Frauen zu verdanken. Ohne Frage gab und gibt es auch Männer, die ernst machen mit der gleichberechtigten Teilhabe von Männern und Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Gleichberechtigung ist kein abgeschlossenes Kapitel, auch wenn mache Studentin davon ausgeht, dass die Auseinandersetzungen um dieses Thema „Schnee von gestern ist“. Ist es nicht. Auch ich habe im Studium geglaubt, dass Gleichberechtigung von vorangehenden Frauengenerationen erkämpft wurde und der Acker diesbezüglich bestellt ist. Die Lebens – und Arbeitswirklichkeit brachte dann so manche Ernüchterung mit sich.
Dennoch bin ich der Überzeugung, dass Frauen, die beharrlich und konsequent die Gleichberechtigung Schritt für Schritt vorantreiben, auf dem richtigen Weg sind. Manche meinen, wir seien zu geduldig und müssten deshalb radikaler werden und verweisen auf die „Suffragetten“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts oder auf Feministinnen wie Simone de Beauvoir oder Alice Schwarzer. Jede Zeit hat ihre besonderen und eigenen Voraussetzungen und Bedingungen. Was damals notwendig war, muss heute nicht richtig sein. Gerade weil so viel erreicht wurde, ist das Gebot der Stunde Augenmaß und vielleicht auch ein gesundes Maß an Geduld. Die Benachteiligung von Frauen ist im 21. Jahrhundert ein Anachronismus, der sich nicht aufrecht erhalten lässt.
Wer sich dem Streben der Frauen nach Gleichberechtigung widersetzt, hängt mit seinen Wertvorstellungen in vergangenen Zeiten und ist hoffnungslos rückwärtsgewandt. Das Umdenken insbesondere der Männer muss in den Köpfen und Herzen stattfinden. Das gilt übrigens auch im Hinblick auf die Schaffermahlzeit. Die Diskussion um die Teilnahme von Frauen war bisher tabu. Nun ist sie es nicht mehr und ein Umdenken zeichnet sich ab. Das ist gut so. Traditionen sind wichtig, sinn- und identitätsstiftend, sie dürfen aber nicht erstarren. Auch Traditionen müssen sich den Veränderungen der Zeit stellen. Die Bedeutung und Attraktivität der Schaffermahlzeit – dieser alten, schützenswerten Bremer Tradition – würde durch die Teilnahme von Frauen nicht verlieren, sondern gewinnen.
Radikale Forderungen an die Privatwirtschaft – so verständlich sie sein mögen – können auch kontraproduktiv sein und zur Vernichtung von dringend benötigten Frauenarbeitsplätzen führen. Dazu gehört z. B. die Forderung nach einem Gleichstellungsgesetz mit festgeschriebenen Quoten z.B. für die Besetzung von Aufsichtsräten in der Privatwirtschaft. Leistung wird sich durchsetzen. Darauf können und müssen Frauen bauen. Auch wenn Eingriffe des Staates in die Soziale Marktwirtschaft im Augenblick Konjunktur haben und in Ausnahmefällen – in einer Krisensituation – notwendig sein mögen, so muss die Frage erlaubt sein, ob verordnete Zwangsmaßnahmen den Frauen wirklich helfen? Freie Marktwirtschaft ist nicht mehr frei, wenn wir ihre Freiheit immer stärker gesetzlich einengen.
Und schließlich darf auch eines nicht vergessenen werden: bei allem noch so berechtigten Karrieredenken von Männern und Frauen darf es nicht dazu führen, dass sich am Ende keiner von beiden mehr um die Familie und die Kinder kümmert. Dann würde Gleichberechtigung auf Kosten der Kinder gehen und auf ihrem Rücken ausgetragen. Kinder dürfen nicht die Verlierer der Gleichberechtigung werden. Männer und Frauen sind für sie in gleicher Weise verantwortlich.
Der Staat kann und muss im Hinblick auf die Familien noch viel tun. Er kann unterstützen, helfen, und ergänzen. Vater und Mutter kann er jedoch niemals ersetzen. Das muss und bewusst bleiben bei allem noch so verständlichen Streben nach Gleichberechtigung.
Juli 2009