Frauen im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime
Der Tod einer der letzten Widerstandskämpferinnen des Dritten Reichs, Freya Gräfin v. Moltke, sollte zum Anlass genommen werden, die Frauen der Widerstandskämpfer stärker als bisher in den Blick zu nehmen. Sie haben es verdient. Freya v. Moltke erlag mit 98 Jahren am 1. Januar 2010 in den Vereinigten Staaten, im Bundestaat Vermont, einer Virusinfektion.
Im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen das Unrechtsregime des Dritten Reiches werden fast ausschließlich Männer genannt: Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Helmuth James Graf von Moltke, Dietrich Bonhoeffer, Hans v. Dohnanyi, Julius Leber, Peter Graf York von Wartenburg, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, Karl Friedrich Goerdeler u .a. Der Mut, die Entschlossenheit und Standhaftigkeit dieser Männer sind in die Geschichte eingegangen. Zu Recht. Die Beteiligung ihrer Frauen im Widerstand gegen Hitler findet kaum Beachtung. Zu Unrecht.
1. Widerstandsfrauen wehren sich gegen ihre Darstellung in der Geschichtsschreibung
Noch 2004 kritisierte die promovierte Juristin Freya v. Moltke anlässlich einer Gedenkveranstaltung in Berlin, dass es ihr nach all den Jahren noch immer nicht gelungen sei, als „aktives Mitglied des Widerstandes anerkannt“ zu werden. So musste sie es hinnehmen, dass ihr Mann Helmuth James als einer der „geistigen Köpfe“ des Kreisauer Kreises bezeichnet wird, sie selbst lediglich als seine „Ehefrau“ oder als seine „Witwe“. Ähnlich erging es Nina Schenk Gräfin v. Stauffenberg, Emmi Bonhoeffer, Rosemarie Reichwein, Marion Gräfin York v. Wartenburg, Brigitte Gerstenmaier, Charlotte von der Schulenburg u.a.
Auch Nina von Stauffenberg ärgerte es außerordentlich, dass sie in der Öffentlichkeit immer wieder als „unbedarfte Hausfrau“ dargestellt wurde. Und so schrieb sie an den Biographen ihres Mannes: „Sie betonen immer wieder, dass ich nichts wusste. Das stimmt nicht! Was ich nicht wusste, war, dass er das Attentat selbst machen würde.“ (Konstanze von Schulthess: Nina Schenck Gräfin von Stauffenberg. Ein Porträt. München u. Zürich 2008, S.84) „Ich wußte, daß eine Bombe gelegt werden sollte und daß immer wieder Ansätze gemacht wurden. Mein Mann nannte keine Namen. Falls das Attentat mißlungen würde, hatte er mir verboten, loyal zu ihm zu stehen.“
(Dorothee von Meding: Mit dem Mut des Herzens. Die Frauen des 20. Juli. Berlin 1992, S. 273 f.)
Dazu schrieb ihre Tochter Konstanze von Schulthess: „Diese Sätze lassen meine Mutter in einem neuen Licht erscheinen, während manche Publizisten und Historiker ungeprüft das Bild der ahnungslosen Ehefrau übernahmen – vielleicht auch deshalb, weil man einer Mutter von vier Kindern schlicht nicht zutraute, sehenden Auges Anschlagspläne gutzuheißen, die für die ganze Familie lebensbedrohlich waren. Was meine Mutter wirklich geleistet hat, welchen Mut, welche Loyalität sie aufbrachte, um die hochgefährlichen Pläne ihres Mannes zu unterstützen, das kann man erst ermessen, wenn man dies hier liest.“ (K. von Schulthess, S. 85)
Der Verärgerung der Frauen von Widerstandskämpfern, die selbst welche waren, wird allenfalls dadurch Rechnung getragen, dass man inzwischen von den „Männern und Frauen“ des Widerstands spricht. Eine angemessene Würdigung der Leistungen der Frauen fand und findet nach wie vor nicht statt – weder publizistisch noch in der Erinnerungsgeschichte, noch in der Widerstandsforschung. Das gilt auch für die Frauen in den kommunistischen und sozialistischen Untergrundbewegungen wie z.B. der „Roten Kapelle“, dem Kommunistischen Jugendverband oder dem Sozialistischen Kampfbund. Ihr Vorgehen, ihre Grundüberzeugungen und ihre Aktionen waren andere und müssen gesondertaufgearbeitet werden.
Die Frauen der Widerstandskämpfer waren keine Revolutionärinnen im herkömmlichen Sinn, aber sie gehören zu den vergessenen Heldinnen unserer Geschichte. Sie haben ihren Männern nicht nur Verständnis, Trost, Ermutigung und Unterstützung entgegengebracht, sondern haben aktiv gehandelt. Sie waren ebenbürtige Lebenspartnerinnen.
Sie haben Kontakte hergestellt, haben geraten, haben Anschlagspläne mitdiskutiert und gutgeheißen, Nachrichten übermittelt, obwohl sie dadurch sich selbst und ihre Familien in hohem Maße gefährdeten. Sie organisierten konspirative Treffen, überlisteten unerschrocken Gefängniswärter und beteiligten sich an Überlegungen für einen Staat nach der Diktatur.
Sie waren Gastgeberinnen auf den Gütern in Kreisau (Moltkes), Kleinöls und Kauern (Yorcks) oder Groß-Behnitz, (Borsigs). In Berlin traf man sich in der Hortensienstraße bei Yorks. „Die Hortensienstraße war ein offenes Haus, man brauchte nur zu klopfen oder im Sommer durch den Garten zu gehen, und schon war man willkommen.“ (D. von Meding, S. 202) Diese Form der Gastlichkeit, diese offenen Häuser waren eine wichtige Voraussetzung für die Arbeit des Widerstandes, für das Zusammengehörigkeitsgefühl und das notwendige Vertrauen zueinander. Hier war man geschützt, hier war man unter Gleichgesinnten, hier gab es Verbindendes, hier gab es Ermutigung. In dieser Atmosphäre konnte sich der Widerstand gegen das grausame Regime entfalten.
Im Übrigen haben die Frauen selbstverständlich die Bewirtschaftung großer landwirtschaftlicher Betriebe übernommen, als ihre Männer in Berlin oder an der Front waren.
2. Als Mitwisserinnen mussten sie ein Doppelleben führen
Nach innen und außen gaben sie ihrem Leben den Anschein der Normalität. Dabei waren sie gezwungen, ein Doppelleben zu führen, denn Mitwisserschaft alleine war schon todeswürdig. Um ihre Kinder und Familien zu schützen, konnten sie auch innerhalb ihrer Familien nicht offen reden.
Nachdem Claus von Stauffenberg hingerichtet worden war, griff Nina von Stauffenberg gegenüber ihren zehn und acht Jahre alten Söhnen zu einer Notlüge: „Der Papi hat sich geirrt, deshalb hat man ihn erschossen.“ Sie wollte die Jungen schützen, denn Nina von Stauffenberg ging fest davon aus, dass man auch die Kinder verhören würde. Wenn sie dann den Vater als Held darstellen würden, hätten sie sich in hohem Maße gefährdet. Es drohte immer die Zwangsadoption oder Verschleppung an unbekannte Orte. Und so prägte sie den Kindern auch einen zweiten Satz ein: „Die Vorsehung schützte unseren geliebten Führer.“
„Wie schwer muss ihr diese Notlüge gefallen sein, mit der sie ihren Kindern ein zweites Mal den Vater nahm: In diesem Moment hatten sie den geliebten Papi nicht nur physisch verloren, sondern auch als Vorbild, als Idol. Aus dem Helden war für sie von einem Augenblick auf den anderen ein Verbrecher geworden.“ (K. von Schulthess, S. 14)
3. Frauen wurden verhört
Nicht nur die Männer des 20. Juli wurden stundenlang von der Gestapo verhört. Gleiches galt auch für ihre Frauen. Sie jedoch mussten eine andere und nicht weniger schwierige Rolle spielen. Sie waren alle auf diesen Fall vorbereitet und hatten sich vorher Strategien des Überlebens mit ihren Männern überlegt. „Wichtig ist, dass einer von uns den Kindern erhalten bleibt“, hatten Claus und Nina von Stauffenberg verabredet.
Nach seiner Verurteilung hatte Nina zwei Tage Zeit, um sich auf ihre Verhaftung und die zu erwartenden Verhöre vorzubereiten. Ihre Überlebensstrategie: „Ich musste mich als dumme kleine Hausfrau mit Kindern und Windeln und schmutziger Wäsche darstellen“. Das allein reichte jedoch auch nicht. Sie musste trotzdem den Eindruck erwecken, als kooperiere sie.
Sie durfte nicht so unbedarft wirken, dass sie für die Gestapo als völlig bedeutungslos eingestuft wurde. Tröpfchenweise musste sie Informationen preisgeben, um das Interesse an ihr und ihrem Wissen so gut es ging aufrecht zu erhalten. Nur so konnte sie verhindern, als unbrauchbare Informantin abgeschoben und getötet zu werden. Der Druck, der auf ihr lastete, musste unerträglich gewesen sein, denn sie wollte weder ihre Kinder noch andere Familienmitglieder oder Freunde in Gefahr bringen. So entschied sie sich das zu sagen, was die Gestapo ohnehin wusste.
Dieser Balanceakt führte dazu, dass sie nur die Namen nannte, die schon bekannt waren, aber niemanden zusätzlich gefährdete. „Über mir persönlich unbekannte Personen und Personen, nach denen ich nicht gefragt wurde, habe ich nichts ausgesagt. Ich habe auch nichts unterschrieben, was ich nicht unterschreiben wollte.“ (K. von Schulthess, S. 30)
Nur mit großem Mut und ausgeprägter Intelligenz konnten sich die Frauen durch diese Verhöre lavieren.
4.Sippenhaft
Nach dem missglückten Attentat auf Hitler wurden ihre Männer verhaftet, gefoltert und hingerichtet. Die Frauen wurden fast alle in Sippenhaft genommen, meist in Einzelhaft, ihre Kinder wurden verschleppt. Nina von Stauffenberg kam ins KZ Ravensbrück und brachte gar ihr 5. Kind im Januar 1945 in Einzelhaft zur Welt. Ihre vier weiteren Kinder wurden in ein Kinderheim nach Bad Sachsa gebracht.
Marion von Wartenburg kam Ende Juli bis Anfang Oktober ins Gefängnis. „Die ersten zwei, drei Tage bin ich wie ein Tiger die Wände hochgesprungen. Rein motorisch war ich gar nicht in der Lage, etwas anderes zu tun, als im Kreis herumzulaufen. Allmählich bin ich dann in mich gegangen.“ (D. von Meding, S.205) Ausführlich berichtet die promovierte Juristin über die Erfahrungen während der Haft in ihrem Buch, das zum Bestseller wurde: „ Die Stärke der Stille“.
Freya von Moltke blieb die Sippenhaft erspart, sie konnte bis zum Kriegsende in Kreisau bleiben. Ihr gelang es, zahlreiche Briefe ihres Mannes ebenso wie die Kreisauer Papiere zu retten. An der Herausgabe dieser Briefe („Briefe an Freya“. München 1988) und an zahlreichen Veröffentlichungen hat sie später mitgearbeitet.
5. Sie hatten Mut und ein Höchstmaß an Loyalität
Nein, ahnungslose Ehefrauen ohne eigene gesellschaftspolitische Positionen waren sie nicht, die Frauen der Männer vom 20. Juli. Keineswegs ertrugen sie passiv, was sie nicht ändern oder verhindern konnten. Mut und ein Höchstmaß an Loyalität im Hinblick auf Umsturzpläne und die Zeit danach, kennzeichnen diese Frauen.
In einem 1992 veröffentlichten Interview erklärte die damals 81 jährige Freya von Moltke: „Was mein Mann getan hat, habe ich bejaht von Anfang bis Ende. Ich habe ihm niemals geraten, davon abzulassen, sondern habe ihm zugeredet, weil ich überzeugt war, dass das zur Erfüllung seines Lebens der richtige Weg war, und deshalb habe ich auch seinen Tod auf mich genommen – das muss ich so sagen.“ (D. von Meding, S. 128) Ähnlich war die Überzeugung von Marion von Wartenberg, dass die Männer, „was sie getan haben, nicht ohne ihre Frauen hätten tun können, waren sie doch alle von der Liebe und der Gemeinsamkeit abhängig“. (D. von Meding, S. 11)
Schon im Januar 1944 wurde Helmuth James von Moltke verhaftet. An der Durchführung des Attentats war er nicht unmittelbar beteiligt. Ein Jahr nach seiner Verhaftung am 11. Januar 1945 wurde er vom sogenannten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt.
6. „Der Auftrag, für den Gott mich gemacht hat, ist erfüllt.“
Mit diesem Bekenntnis verabschiedet sich Helmut James von Moltke in seinem letzten Brief an seine Frau Freya. Wie sehr der christliche Glaube die Frauen und Männer des Widerstands im Dritten Reich geprägt und getragen hat, wird an vielen Äußerungen deutlich. Ihre vorbildliche Haltung war begründet in dem Halt, den sie durch den Glauben hatten. Mut, Gradlinigkeit, Unbestechlichkeit, Anständigkeit, Aufrichtigkeit und Verantwortungsgefühl konnten sich entfalten, weil sich die handelnden Personen, ob Mann oder Frau, im christlichen Glauben gehalten und geborgen fühlten.
Marion von Wartenburg antwortete auf die Frage, woher sie die Kraft nahm, diese schwere Zeit durchzustehen: „Ich weiß nicht, woher diese Kraft kam, sie war da. Je größer die Forderung, die an einen gestellt wird, desto größer die Kraft, die man entwickelt. Es entstehen Kräfte, von deren Vorhandensein man keine Ahnung hatte. Jedenfalls habe ich nie die Flügel hängen lassen. Diese Haltung ist wahrscheinlich auch darauf zurückzuführen, dass ich voll Gottvertrauen war.“ (D. von Meding, S. 205)
Voll Gottvertrauen war auch Helmut von Moltke kurz vor seiner Hinrichtung. Seine Worte aus dem Gefängnis in Berlin Tegel sind vor dem Hintergrund des Terrors, dem er ausgesetzt war, sehr schwer nachvollziehbar und doch so eindrucksvoll:
„Ich bin so voll Dank, eigentlich ist für nichts anderes Platz. Er (Gott, E.M.) hat mich die zwei Tage so fest und klar geführt: der ganze Saal hätte brüllen können wie der Freisler, und sämtliche Wände hätten wackeln können, und es hätte mir gar nichts gemacht; es war wahrlich so, wie es im Jesaja 43,2 heißt: Denn so du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.“ (Helmuth James Graf von Moltke: Letzte Briefe. Berlin 1965, S. 43)
Diese Glaubensgewissheit machte ihn in Erwartung des Todesurteils ruhig und gelassen. Und nur so erklärt sich sein Schlusswort, zu dem er von Roland Freisler, der sich über die „Grafenclique“ ereiferte, aufgefordert wurde: „Ich habe nicht die Absicht, etwas zu sagen, Herr Präsident.“ Bis zum Schluss hat Freya von Moltke versucht, ihren Mann vor der Hinrichtung zu retten. Sie scheute sich nicht, den Chef der Gestapo Heinrich Müller um Gnade zu bitten. Daraufhin erklärte dieser: „ Gnädige Frau, ich bin bereit, Ihnen zu helfen, wenn alles vorüber ist…“ Am 23. Januar wurde Helmuth James Graf v. Moltke in Plötzensee hingerichtet.
Freya v. Moltke war eine gläubige Frau, wenngleich sie sich selbst nicht „so begabt für diese Glaubenswelt“ hielt. Aber auch sie konnte sagen, dass „man Leben erst gewinnt, wenn man bereit ist, es zu verlieren“. Sie wollte den Glauben in das praktische Leben übertragen. „Das Christentum hilft leben.“
Helmuth James von Moltke, der mit Vehemenz die Staatsstreichpläne im Kreisauer Kreis vorantrieb, hat mit dem Gedanken an ein Attentat auf Adolf Hitler gehadert. Zum einen hatte er Bedenken aus Glaubensgründen, zum anderen konnte man nach seiner Überzeugung einen demokratischen Rechtsstaat nicht mit einem Mord beginnen. Dennoch ist davon auszugehen, dass er, wenn er nicht schon so früh inhaftiert worden wäre, die Verantwortung mit seinen Freunden für das Geschehen am 20. Juli 1944 selbstverständlich geteilt hätte. Freya v. Moltke hat das Attentat im Nachhinein gewertet als das „einzige Zeichen gegenüber der Welt, dass es in Deutschland Leute gab, die bereit waren, Hitler zu bekämpfen und ihr Leben dafür einzusetzen.“ Der Mut und die Haltung dieser Frau und all der anderen Frauen, deren Männer zum Widerstand zählten, ist ein bleibendes Vermächtnis – auch heute, fast 65 Jahre nach dem Ende dieser grausamen Diktatur. In der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte gab es Menschen, die für unsere Generation Vorbild sein können bzw. sein sollten. An sie zu erinnern ist unsere Pflicht. Der Mut und die Bereitschaft für die eigene Überzeugung im Ernstfall auch sein Leben einzusetzen, war damals und ist heute wahrhaftig keine Selbstverständlichkeit. Umso mehr müssen wir diejenigen, die diese Kraft hatten im guten – und ganz und gar nicht antiquierten – Sinne ehren. Die Frauen der Männer des 20. Juli 1944 gehören zu diesen vergessenen Heldinnen.