Mehr Staat – weniger Kirche?

von Elisabeth Motschmann

Das Verhältnis von Kirche und Staat beruht auf der Religionsfreiheit, der Trennung von Staat und Kirche und dem verfassungsrechtlich gewährleisteten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gilt  „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“, unserer demokratischen Rechtsordnung.

Die Trennung von Staat und Kirche hat sich in unserem Land bewährt. Die Staatskirchenverträge regeln das Verhältnis beider Bereiche. Außerdem sind sie Ausdruck für die Überwindung eines Staatsverständnisses, in dem religiöse und weltanschauliche Fragen gleich mit erledigt werden. Ein solches Staatsverständnis ist noch immer in vielen Ländern der Welt  – insbesondere in den islamischen – fest verankert. 

Deutschland hat in seiner jüngeren Geschichte schlechte Erfahrungen mit der Einmischung des Staates in religiöse und weltanschauliche Fragen gemacht. Sowohl der Nationalsozialismus als auch der Kommunismus haben versucht, die Kirchen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. In aller Regel brachten Zugeständnisse der Kirchen gegenüber dem totalitären Staat keine wesentlichen Erleichterungen für das christliche Leben. Christen wurden unterdrückt und verfolgt bzw. unzumutbar behandelt. Darum ist es wichtig, dass das Verhältnis von Staat und Kirche klar geregelt und abgegrenzt wird.

Die Trennung von Staat und Kirche schließt jedoch eine gute Zusammenarbeit nicht aus. Diese ist schon deshalb notwendig, weil es gemeinsame Arbeitsfelder gibt. (z.B. Krankenhäuser, Altenheime, Schulen, Kindergärten, Friedhöfe) Darüber hinaus gibt es weitere Berührungspunkte.  (Denkmalpflege, Eheschließungen,  Religionsunterricht, Anstaltsseelsorge, Militärseelsorge) Ausdrücklich erklärt unser Grundgesetz in Artikel 140: „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgemeinschaften zur  Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“

Die gemeinsamen Arbeitsfelder sind historisch gewachsen und kommen allen Menschen zugute, auch den Kirchenfernen. Da die Kirchen u.a. viele soziale Dienstleistungen erbringen, ist der Staat auf die Kirchen angewiesen, denn er wäre weder finanziell noch ideell in der Lage, diese Aufgaben zu übernehmen. Umgekehrt ist es eine Hilfe für die Kirchen, dass der Staat die Kirchensteuern einzieht. Diese Dienstleistung wird von den Kirchen bezahlt, damit auch hier keine unnötigen Abhängigkeiten entstehen.

Dieses wechselseitige Verhältnis von Staat und Kirche setzt Respekt, Kontakt und Kenntnis voraus. Zunehmend ist zu beobachten, dass es an Respekt den Kirchen gegenüber mangelt. Andere Religionen werden  inzwischen in vielen öffentlichen Stellungnahmen, Reden und den Medien besser behandelt als die christlichen Kirchen. Respektlos ist auch der Missbrauch von biblischen Zitaten für Werbezwecke.

Auch Kenntnis und Wissen über die Grundlagen des Christentums nehmen ab. Immer weniger Eltern legen Wert auf eine religiöse Erziehung ihrer Kinder. In den Schulen wird der Religionsunterricht stiefmütterlich behandelt. Insbesondere in Bremen wurde und wird der Biblische Geschichtsunterricht nun schon über Jahrzehnte vernachlässigt. Religionsstunden fallen aus oder werden zu fast 90% fachfremd unterrichtet. Der christliche Analphabetismus nimmt zu.

Diese liberale bremische Unterrichtspraxis geht den Bremer Grünen nicht weit genug. Die Bürgerschaftsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat am 24. September 2008 einen Entwurf für eine Neuregelung des BGU vorgelegt. Der Grünen-Parlamentarier Hermann Kuhn verlangt  eine Reform dieses Unterrichtsfaches mit dem Ziel: „ein für alle Schüler verpflichtender und neutraler Unterricht über die Geschichte der Religionen bis heute. Dabei werden  christliche, jüdische, muslimische und konfessionslose Kinder nicht nach ihrem Glauben aufgeteilt. Sie lernen gemeinsam mit- und übereinander.  Das führt zu mehr Toleranz und Respekt.“

Wir leben im christlichen Abendland und haben daher nicht nur das Recht, sondern die Pflicht unsere eigenen Wurzeln den Kindern zu vermitteln. Die Menschenrechte fußen auf dem Christentum und nicht auf anderen Religionen. Das Sozialsystem der westlichen Welt ist ohne die christliche Nächstenliebe nicht denkbar. Wie viele Menschen haben in tätiger christlicher Nächstenliebe im eigenen Land sowie weltweit Hilfsbedürftigen und Notleidenden geholfen?

Unsere Kultur basiert ebenfalls auf dem Christentum und kann nur verstanden werden, wenn zuvor profunde Kenntnisse vermittelt wurden. Gleiches gilt für unser Rechtssystem, das die Zehn Gebote zur Grundlage hat. Schließlich sind es die christlichen Werte, die Kindern nahe gebracht werden sollten. Man kann nicht den Werteverfall beklagen und gleichzeitig sich vom Religionsunterricht auf allgemein christlicher Grundlage verabschieden.

All diese positiven Ergebnisse des Christentums sind auch dann nicht zunichte, wenn man den Missbrauch christlichen Gedankengutes etwa bei den Kreuzzügen, den Hexenverbrennungen oder im Dritten Reich bedenkt. Diese Verzerrungen sind trauriger Bestandteil der Kirchengeschichte, rechtfertigen aber nicht, den rechten Gebrauch christlicher Tradition zu verneinen oder den Kindern vorzuenthalten.

Die Diskussion darüber, ob auch andere Religionen den Anspruch erheben können, Verträge mit unserem Staat abzuschließen, nimmt zu. Dabei geht es in erster Linie um gleiche Rechte, weniger um die damit verbundenen Pflichten. Bisher fehlen für derartige Verhandlungen die notwendigen Voraussetzungen. Bei den Muslimen fehlt z.B. ein von allen muslimischen Gruppen und Gemeinschaften anerkannter Ansprechpartner. Auch die Frage, welche Kriterien für die Aufnahme von Verhandlungen entscheidend sind, ist bisher nicht geklärt. Ist die Anzahl der Mitglieder entscheidend oder hat grundsätzlich jede Religionsgemeinschaft einen Anspruch? Wie gehen wir in diesem Zusammenhang mit den Freikirchen um?

Die Fragen nach dem Verhältnis von Staat und Kirche werden auch in Zukunft von zentraler Bedeutung sein. Sie bleiben auf der politischen Tagesordnung. Entscheidend wird es sein, dass die Kirchen und mit ihnen die Christen in unserem Land und unserer Stadt sich als Anwälte für die Sache des Christentums verstehen.

Bremen, den 3. November 2010