Die politische Meinung
Frauen engagieren sich politisch meist auf eher frauenspezifischen Feldern wie Familien- oder Sozialpolitik. Damit stehen sie im Widerspruch zu ihren Grundsätzen.
Elisabeth Motschmann
Eines haben Parteitage aller Parteien gemeinsam: Frauen kämpfen um ihre Rechte. Sie bedauern wortreich, daß Frauen in den Spitzengremien und -positionen der Politik noch immer unterrepräsentiert sind, und fordern die Männer auf, diesen „unhaltbaren“ Zustand so schnell wie möglich zu beenden. Meist versäumen es die Politikerinnen nicht, den Männern vorzuwerfen, sie seien schuld daran, daß sich noch immer so wenige Frauen in der politischen Verantwortung befinden.
Auf den Vorwurf folgt die Klage, daß die Männer immer noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt hätten, an ihren Posten hingen und diese vorzugsweise den eigenen Geschlechtsgenossen zuschöben.
Dieselben Frauen, die sich so engagiert in den Diskussionen zu Wort melden, in denen es um dieses Frauenthema geht, sind nicht annähernd so häufig am Rednerpult, wenn politische Sachthemen auf der Tagesordnung stehen, wie zum Beispiel Finanz- und Wirtschaftspolitik, Innen- und Außenpolitik oder gar Verteidigungspolitik. Ausnahmen bestätigen die Regel. Munter werden die Frauen jedoch dann, wenn es um Sozial- oder Familienpolitik geht. Dies zumindest habe ich in den vergangenen Jahren auf vielen Parteitagen von den Pressetribünen aus beobachtet. Die Parteitagsprotokolle bestätigen diese Beobachtung.
Das Verhalten der Frauen steht in einem fundamentalen Widerspruch zu ihren eigenen Grundsätzen. Geschlechtsspezifische Interessens-, Wesens- oder gar Begabungsunterschiede von Mann und Frau werden leidenschaftlich geleugnet. Und das nicht nur von Alice Schwarzer in ihrem Bestseller Der kleine Unterschied und seine großen Folgen. Die französische Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir hatte schon 1949 die Frauenbewegung in diese Richtung gewiesen. „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Kein biologisches, psychisches, wirtschaftliches Schicksal bestimmt die Gestalt, die das weibliche Menschenwesen im Schoß der Gesellschaft annimmt. Die Gesamtheit der Zivilisation gestaltet dieses Zwischenprodukt zwischen dem Mann und dem Kastraten, das man Weib bezeichnet.“ (Das andere Geschlecht)
Auch Rita Süssmuth bestreitet ebenfalls, daß es „angeborene weibliche Eigenschaften“ gibt. „Empirische Befunde haben belegt, daß Mädchen nicht von Natur aus sozialer sind als Jungen“, behauptet sie und lehnt darum jede geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ab (Frauen – der Resignation keine Chance).
In zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen ist man in den vergangenen Jahren der Frage nachgegangen, ob die Unterschiede zwischen Mann und Frau angeboren oder anerzogen sind. Eine der namhaftesten Wissenschaftlerinnen auf diesem Gebiet ist die französische Soziologin Evelyne Sullerot. Sie kommt zu dem für sie selbst überraschenden Ergebnis: „Zu Beginn meiner Arbeiten war ich überzeugt, daß einzig und allein die sozialen Bedingungen und die Erziehung für all die Unterschiede verantwortlich sind, die zwischen Mann und Frau bei der Berufswahl und im Berufserfolg zu beobachten sind… Aber mein soziologischer Glaube ist durch Tatsachen, durch hartnäckige Tatsachen in Frage gestellt worden.“
Die Rollen selbst gesucht
Frauen – insbesondere politisch engagierte Frauen – wären gut beraten, wenn sie endlich aufhören würden, diese geschlechtsspezifischen Unterschiede und die damit verbundenen Folgen zu leugnen. Es ist auch wenig überzeugend, wenn die Politikerinnen, die sich verbal so entschieden dagegen wehren, daß es Interessensunterschiede und Aufgabenteilungen zwischen Mann und Frau gibt, in ihrem eigenen Verhalten und Handeln gegen diese These verstoßen. Warum – so muß man sich doch fragen – entscheiden sich Frauen in der Politik mehrheitlich selbst immer wieder für Soziales, Gesundheit, Familienpolitik und nur in Ausnahmefällen für andere Themen? Sogar die Senatorinnen der Bremer Ampelkoalition, denen man nun wahrhaftig nicht nachsagen kann, daß sie einem „veralteten Rollenverständnis“ anhängen, befinden sich in den Ressorts Gesundheit, Soziales und Familie sowie Kultur und Ausländerintegration. Für andere Ressorts hatten sich die sozialdemokratischen und grünen Politikerinnen nicht qualifiziert. Dies war nicht „Schuld“ der Männer, sondern ihre eigene Entscheidung. Damit leisten die fortschrittlichen Frauen der Ampelkoalition ihrerseits einen entscheidenden Beitrag zur Verfestigung einer „geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Bremer Regierung. In anderen Landesregierungen ergibt sich ein ähnliches Bild. Und auch in der Bundesregierung besetzen Frauen die Ressorts, für die sie sich traditionell am meisten engagieren, nämlich Familie, Gesundheit und Frauen.
Es ist nicht richtig, der Gesellschaft im Allgemeinen und den Männern im besonderen vorzuwerfen, sie hinderten Frauen daran, auch in andere Bereiche vorzudringen. Es sind die Frauen selbst, die sich „ihre“ Rollen und Aufgaben aussuchen. Frauen setzen sich thematische Schwerpunkte, und die beschränken sich selbst auf bestimmte – eben frauenspezifische – Felder.
Das zeigt sich nicht nur in der Politik, sondern auch in der Publizistik. Ein Gang über die Frankfurter Buchmesse zeigt, wofür Frauen sich interessieren und engagieren. Niemand verbietet es Frauen, über jedes nur denkbare Thema zu schreiben – kein Mann und auch keine Gesellschaft. Worüber schreiben Frauen? Über soziale Fragen, Frauenfragen, Psychologie, Familie. Sie schreiben Esoterik-Bücher und Romane. Worüber schreiben Frauen nicht oder nur im Ausnahmefall? Über Innen- und Außenpolitik, Finanz- und Wirtschaftspolitik, über Deutschland- und Verteidigungspolitik, über ideologische Fragen.
In der Publizistik entscheiden sich Frauen für die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte wie in der Politik. Wer jedoch den Anspruch erhebt, überall mitzuregieren, muß sich zunächst an der gedanklichen Arbeit beteiligen. Solange Frauen dies nicht tun, können sie auch nicht Spitzenpositionen in allen Bereichen fordern. Positiv formuliert: Frauen, die sich Arbeitsschwerpunkte suchen, die nicht in die traditionellen Frauenbereiche fallen, stehen Tor und Tür offen für jede Spitzenposition. Birgit Breuel gehört zu den wenigen, die diesen Weg gegangen sind – mit Erfolg.
Frauen verhindern Frauen
Ein weiterer Grund dafür, daß Frauen in politischen Schlüsselpositionen noch immer unterrepräsentiert sind, ist, daß sie von den eigenen Geschlechtsgenossinnen kaum oder gar nicht gefördert werden. Weibliche Rivalität ist vernichtender als männliche Rivalität. Männer kämpfen offen gegeneinander, Frauen kämpfen häufig mit verdeckten und intriganten Methoden. Selten kann man beobachten, daß eine Frau die Karriere einer anderen mit Zustimmung und Unterstützung begleitet. Männer hingegen bilden „Seilschaften und halten sich gegenseitig die „Räuberleiter“. Dies haben Frauen noch nicht gelernt. Mit Eifersucht machen sie sich das Leben gegenseitig schwer. Man wird statistisch niemals hinter das Geheimnis kommen, wie viele Frauen Frauen verhindern. Man sollte jedoch die Frauen, die sich beklagen, daß Männer Frauen verhindern, gelegentlich daran erinnern, daß es auch Probleme der Frauen untereinander gibt. Es fehlt jedoch nicht nur die weibliche Solidarität, es fehlen in allen Parteien noch immer weibliche Mitglieder. Auch dadurch wird das Weiterkommen von Frauen in der Politik erschwert.
Bemerkenswert ist die Tatsache, daß sich in der jungen Generation keine Trendwende abzeichnet. Obwohl sich insgesamt 40 Prozent der Jugendlichen (etwa doppelt so viele Jungen wie Mädchen) für Politik interessieren, wirken nur drei Prozent (etwa dreimal so viele Jungen wie Mädchen) in politischen Jugendorganisationen mit. Das ergab eine kürzlich veröffentlichte Studie des Bielefelder Jugendforschers Professor Klaus Hurrelmann.
Die offensichtliche Zurückhaltung vieler Frauen im Blick auf eine parteipolitische Mitarbeit hat jedoch Gründe. Viele Frauen besitzen durchaus gute Voraussetzungen für die verschiedensten Aufgaben und Ämter. Trotz ihrer Qualifikation wollen sic nicht mitmachen. Und das wollen manche engagierte Politikerinnen nicht wahrhaben und/ oder nicht verstehen beziehungsweise akzeptieren. Hier drei Gründe für die parteipolitische „Abstinenz“ von Frauen:
1. Da sind zunächst die jungen Frauen, die keine politischen Verpflichtungen wollen, weil ihnen die familiären wichtiger sind. Sie lehnen es ab, sich aufzuteilen zwischen Kinderzimmer und Sitzungsräumen. Ihr ganzer Einsatz gilt der Familie.
2. Berufstätige Frauen, die ohnehin schon Mühe haben, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, sehnen sich ebenfalls nicht nach zusätzlichen zeitintensiven Aktivitäten.
3. Schließlich gibt es Frauen, die andere ehrenamtliche Arbeit der politischen vorziehen. Bevor sie sich in hierarchische Strukturen einer Partei einordnen, packen sie lieber an anderer Stelle tatkräftig zu, wo ihre Hilfe gebraucht wird.
Wenn Frauen aus den genannten oder aus anderen Gründen der Politik fernbleiben, dann ist das kein Zeichen politischer Ignoranz, sondern ein Zeichen dafür, daß sie andere Lebensentscheidungen treffen und ihre eigenen Wege gehen. Und auch das hat etwas mit „geschlechtsspezifischen“ Unterschieden zu tun. Nach einer soeben veröffentlichten gesamtdeutschen Umfrage, die Bundesfrauenministerin Angelika Merkel in Bonn vorstellte, sind neun von zehn Frauen mit der traditionellen Aufgabenteilung in der Familie zufrieden.
Es kann nicht Aufgabe der Politik sein, diese Grundsatzentscheidung zu kritisieren. Wir müssen sie akzeptieren. Es hat auch keinen Sinn, mit allen Mitteln der Überzeugungskunst Frauen für das politische Geschäft anzuwerben. Wer mitmachen möchte, ist immer herzlich eingeladen. Wer lieber etwas anderes machen möchte, braucht kein schlechtes Gewissen zu haben. An weichem Platz auch immer Frauen arbeiten – sie sind überall wichtig: in der Familie, im Beruf, in der Partei sowie in allen gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen.