Bildzeitung, 24. August 2006
Riesenwirbel um den umstrittenen Schriftsteller. Nach seinem SS-Geständnis will Christian Weber (SPD) ihn nach Bremen einladen.
Elisabeth Motschmann von der CDU ist empört
Darf Grass in unserer Bürgerschaft lesen?
Von A. MERTENS
Streitfall Günter Grass. Sein spätes SS-Geständnis sorgt jetzt auch in Bremen für politischen Wirbel. Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) will den Literatur- Nobelpreisträger zu einer Lesung in die Bürgerschaft einladen.
Kulturstaatsrätin Elisabeth Motschmann (CDU) hält Webers Einsatz für Grass für unverantwortlich. „Wer anderen Polemik vorwirft, sollte selbst nicht derartig polemisch antworten, schon gar nicht, wenn es um das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte geht. Mit seiner Aussage hat der Bürgerschaftspräsident gewiss nicht für alle Bremerinnen und Bremer gesprochen.“
Das riecht nach Riesenwirbel in der Großen Koalition!
Christian Weber kontert: „Die lautstarken Polemiker, die aus der Autorität Grass quasi über Nacht einen Bösewicht machen wollen, sind offenbar von allen guten Geistern verlassen. Grass ist ein großer Schriftsteller mit großen Verdiensten und die Günter-Grass-Stiftung bereichert die bremische Kultur und Gesellschaft.“
Weber will noch in dieser Woche den Brief an den umstrittenen Autoren schreiben, ihn zu einer Lesung in die Bürgerschaft einladen. „Er ist in diesem Haus jederzeit herzlich willkommen.“
CDU-Landeschef Bernd Neumann, zugleich Kultur-Staatsminister des Bundes hält das für falsch: In dieser schwierigen Situation ist es nicht besonders klug, sich als kleinstes Bundesland in vorderster Linie zu bewegen. Da sollte sich der Bremer Parlamentspräsident besser nicht einmischen.“
Der erhält jedoch von anderer Seite Unterstützung. Grünen-Chefin Karoline Linnert: „Herr Weber darf als Präsident einladen, wen er will. Bei aller teilweise auch berechtigten Kritik an Grass: Er darf nicht zu einer Person werden, die man grundsätzlich nicht mehr einlädt.“
Auch die jüdische Gemeinde findet Webers Einladung völlig in Ordnung.
Vorsitzende Elvira Noa zu BILD: „Herr Grass hat sich zu spät seiner SS-Vergangenheit geäußert. Aber jeder Mensch hat das Recht sich zu ändern. Es ist besser ihn einzuladen, um sich mit ihm auseinanderzusetzen. So oder so: Eine Lesung von Grass in der Bremischen Bürgerschaft würde sicher nicht vor leeren Rängen stattfinden…