Bonn, 7.11.2003, DW-radio / Russisch
Am Donnerstag (6.11.) haben in der usbekischen Stadt Samarkand Veranstaltungen anlässlich der Aufnahme der Städtepartnerschaft zwischen Samarkand und Bremen stattgefunden. An den Veranstaltungen nahm eine Delegation des Bremer Senats unter Leitung von Elisabeth Motschmann teil. Es berichtet Jurij Tschernogajew: Vor ihrer Abreise aus Taschkent nach Samarkand führten die Bremer Senatoren Gespräche mit dem usbekischen Vizepremierminister Eljor Ganijew, der die Agentur für Außenwirtschaftsbeziehungen leitet, aber auch mit Vizepremier Abdulla Aripow, der Chef der Agentur für Kommunikation und Information sowie Vorsitzender der Freundschaftsgesellschaft „Usbekistan-Deutschland“ ist.
Am selben Tag hielt Elisabeth Motschmann in der Universität für Weltwirtschaft und Diplomatie einen Vortag über die Geschichte der Beziehungen zwischen der muslimischen und christlichen Welt. (MO)
Das Verbindende und die Unterschiede in Bibel und Koran Christen und Muslime im Dialog
Vorbemerkung:
Seit dem 11. September 2001 ist das Interesse am Islam in der westlichen Welt, insbesondere auch in Deutschland sehr groß. Eine Fülle von Aufsätzen und Büchern ist seitdem zu diesem Thema erschienen. Dabei fällt auf, daß viele Stellungnahmen in Deutschland, in Politik und Kirche zur Besonnenheit mahnen.
Das Verhältnis zu den Muslimen, die in Deutschland leben, war bisher ohne große Probleme. Aber seit dem 11. September 2001 und durch die permanenten Selbstmordattentate von Palästinensern in Israel gibt es eine Beunruhigung. Menschen fragen:
Werden eines Tages solche Attentate auch in Deutschland geschehen?
In diesem Zusammenhang wächst das Interesse am Islam. Das ist auf jeden Fall positiv. Menschen fragen:
Was verbindet Christen und Muslime? Gibt es nicht auch Aussagen, die sie trennen?
Und wenn das so ist, wie stark kann das Verbindende wirken – und wie stark die Unterschiede?
Lassen Sie uns also in einem ersten Durchgang das Verbindende betrachten, in einem zweiten Durchgang die Unterschiede und dann fragen wir:
Welche Schlußfolgerungen können wir daraus ziehen?
Die Grundlage dieser Untersuchung sollen vor allem Bibel und Koran sein. Denn diese beiden Bücher sind ja die maßgebenden heiligen Bücher beider Glaubensrichtungen.
Während die Bibel in einem Zeitraum von über tausend Jahren entstand, beruht der Koran (Lesung, Rezitation) auf Offenbarungen Mohammeds (eigentlich: Muhammad).
Nun brauche ich Ihnen sicherlich nicht zu berichten, wann und wie der Koran entstanden ist. Muhammad (M) hat einen Teil der Offenbarungen in Mekka empfangen, den anderen in Medina. Der Koran eingeteilt ist in 114 Suren (Abschnitte), die wiederum ähnlich wie in der Bibel in Verse unterteilt sind.
Eine besondere Eigentümlichkeit besteht darin, daß die Suren weder nach auffälligen inhaltlichen Gesichtspunkten geordnet sind noch nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung.Es fällt allerdings auf, daß der Koran mit den umfänglich längeren Suren beginnt – von Sure 1 einmal abgesehen – und mit den kürzeren aufhört.
Erstens: das Verbindende.
Es mag manche, die die Bibel nicht kennen, überraschen, wie oft in ihr Namen und Begebenheiten vorkommen, die man dann im Koran wiederfindet…
Der Umfang dieser Texte im Koran, die aus Worten der Bibel geformt sind, ist beträchtlich. Sie machen ungefähr ein Drittel des gesamten Korans aus.
Dieser biblische Stoff ist nicht nur eine Übernahme. Der Islam ist die einzige Weltreligion, die bestimmte Aussagen der Bibel bestätigt und andere korrigiert.
Das hat seinen Grund in der Entstehungsgeschichte des Korans. Dazu ein paar Hinweise:
Muhammad (der Gepriesene), Stifter und Prophet des Islam, hat in seiner Vaterstadt Mekka in Arabien von etwa 610 – 622 n. Chr. gelebt.
Er zog sich zu privater Andacht an den Berg Hira zurück und erhielt dort im Jahr 610 in einer Offenbarung den Auftrag:
Steh auf und warne! Die Menschen sind von Gott abgefallen und das Jüngste Gericht steht bevor.
Seitdem empfing M. weitere Offenbarungen bis an sein Lebensende, die allerdings erst 20 Jahre nach Ms. Tod gesammelt wurden. Seitdem gibt es den Koran.
Die Araber in Mekka standen M. zunächst ablehnend gegenüber. Mit wenigen Getreuen siedelte M. im Jahr 622 nach Jathrib über, das später Madinat an-Nabi, die Stadt des Propheten genannt wurde, abgekürzt: Medina.
Das Jahr 622, das Jahr der Hidjra (Auswanderung) wurde zum Beginn der islamischen Zeitrechnung. Zehn Jahre – von 622 bis zu seinem Tod im Jahre 632 wirkte M. in Medina.
In Medina gab es eine starke jüdische Kolonie, bei der M. zunächst Anlehnung und Unterstützung suchte. Von daher kamen wohl vor allem seine Kenntnisse des Alten Testaments.Und es gab auf der arabischen Halbinsel auch christliche Gemeinden. Von daher seine Kenntnisse des Neuen Testaments. Es wird geschätzt, daß es im 7. Jahrhundert eine Million Araber gab, und vor dem Siegeszug des Islam ca. 200.000 Araber in mehr als 50 Stämmen, die an Jesus Christus glaubten. (A. Ziad Turkamani in: EMO, Traktat 9)
Ein Verwandter der ersten Frau Ms. war Christ. Diesen Hintergrund muß man kennen, um zu begreifen, daß im Koran vieles aus der Bibel eingeflossen ist. Unter dem Stichwort „Verbindendes” ist festzuhalten, daß Christen im Koran auffällig viele Namen und Berichte entdecken, die ihnen aus der Bibel vertraut sind.
Beginnen wir mit den Namen: Noah, Mose, sein Bruder Aaron und Abraham (Ibrahim) kommen am häufigsten im Koran vor. Aber auch andere uns aus der Bibel vertraute Namen liest man im Koran:
- Adam (Eva wird nie genannt)
- Abrahams Söhne Ismael und Isaak,
- Lot, der Neffe Abrahams,
- Jakob und sein Sohn Josef,
- von dem eine ganze Sure – die 12. – handelt,
- der Dulder Hiob,
- die Propheten Elisa und Elias,
- die Könige Saul, David und Salomo,
- Johannes der Täufer und sein Vater Zacharias,
- Maria und Josef.
Sure 2,130:
Sprecht: „Wir glauben an Allah und was er zu uns niedersandte
zu Abraham und Ismael und Isaak und Jakob und den Stämmen,
und was gegeben ward den Propheten von ihrem Herrn.
Keinen Unterschied machen wir zwischen einem von ihnen;
und wahrlich, wir sind Muslime.”
Auch die Engelslehre des Korans ist deutlich aus der Bibel übernommen worden:
Der Engel der Offenbarung, der M. den Koran eingab, heißt Dschibrail (Gabriel).
Ebenso sind Mikal (Michael) und die Karrubiyun (Cherubim) aus der Bibel übernommen.
Gleiches gilt von den großen Themen: Lehre vom Tag des Gerichts.
Am Ende der Zeit werden alle Menschen vor Allah gerichtet – die einen zur Hölle, die anderen zum Paradies.
Auch die islamische Lehre von der Vorherbestimmung (Kismet) hat Anklänge an die biblische Lehre von der Erwählung.
Selbst das Glaubensbekenntnis des Islam – die Schaháda – dürfte ihren Ursprung im streng monotheistischen jüdischen Glaubensbekenntnis haben:
Das Glaubensbekenntnis im Islam:
„Ich bekenne: Es gibt keinen Gott außer Gott (Allah) …“
Das Glaubensbekenntnis im Judentum:
„Höre Israel: Der HERR, unser Gott, ist ein einziger HERR.“
(5. Mose 6,4)
Übrigens, der Name Allah für Gott muß nicht als trennend zwischen Juden, Christen und Muslimen angesehen werden, da Allah – wie Sie wissen – ganz einfach der Ausdruck für Gott in der arabischen Sprache ist. Ein arabischer Christ schreibt:
Für mich als einen von 20 Millionen arabischen Christen aller Konfessionen ist es nicht verständlich, warum manche unserer europäischen Glaubensgeschwister es uns verbieten wollen, den einzigen arabischen Gottesnamen ALLAH in den Mund zu nehmen, obwohl er 3829 mal in der allgemein gebräuchlichen arabischen Bibel als Synonym für GOTT vorkommt – nur weil Muslime dasselbe Wort gebrauchen, wenn sie von Gott – wie sie ihn verstehen – reden.(A. Ziad Turkamani: ‘Allah’ gleich ‘Gott’. In: EMO, Traktat 9)
Für uns ist besonders interessant, daß auch Jesus (Isa) im Koran häufig vorkommt und positiv gesehen wird: Der Koran hat größtenteils die Titel für Jesus aus dem Neuen Testament übernommen:
- der Sohn der Maria,
- der Knecht Gottes,
- der Gesandte Gottes,
- das Wort Gottes,
- der Prophet,
- der Messias.
Der Koran berichtet
- die Jungfrauengeburt,
- einige Wunder, die Jesus tat,
- und – was besonders erfreulich ist – seine Sündlosigkeit.
Zweitens: die Unterschiede.
Die Unterschiede liegen für Christen und Muslime vor allem in drei Bereichen:
Erstens: In den Offenbarungen Ms. werden biblische Überlieferungen korrigiert. Zwei Beispiele dafür:
Das erste Beispiel betrifft die Stellung der Söhne Abrahams. Ismael, der mit der ägyptischen Magd Hagar gezeugte ältere Sohn (1. Mose 16) wird der Stammvater der Araber.
Isaak, der Sohn der Ehefrau Sara (1. Mose 18,9-15; 21, 1-7) wird der Stammvater der Israeliten.
Im 1. Buch Mose wird berichtet, daß Isaak in den heilsgeschichtlichen Bund eintritt, den Gott mit Abraham geschlossen hat und Ismael von diesem Bund ausgeschlossen wird. (1. Mose 17,19-21)
Sure 37,98 bzw. 100-113 zeichnet ein anderes Bild:
Die herausragende Stellung Ismaels wird dadurch unterstrichen,
daß er und nicht Isaak zum Opfer auf dem Berg Morija bereit war.
Die Bibel berichtet es genau andersherum. (1. Mose 22)
Zweites Beispiel betrifft die Stellung Ms. gegenüber Jesus.
Sure 61,6:
Und da Jesus, der Sohn der Maria, sprach:
„O ihr Kinder Israels, siehe, ich bin Allahs Gesandter an euch,
bestätigend die Tora, die vor mir war, und einen Gesandten verkündigend, der nach mir kommen soll …“
Da der Koran an anderer Stelle M. als das „Siegel der Propheten” (Sure 33,40) bezeichnet, ist verständlich, daß der Koran Jesus nur als einen Vorläufer von M. einordnet.
Sure 61,9:
„Er (Allah) ist’s, der seinen Gesandten mit der Leitung und der Religion der Wahrheit entsandt hat, um sie über jede andere Religion siegreich zu machen, auch wenn es den Götzendienern zuwider ist.“
Dementsprechend zwiespältig ist die Stellung zu den Juden und Christen.
Sie werden einerseits als die Schriftbesitzer gewürdigt:
Sure 29,45:„Und streitet nicht mit dem Volk der Schrift, es sei denn in bester Weise, außer mit jenen von ihnen, die ungerecht handelten; und sprechet:
„Wir glauben an das, was zu uns herabgesandt ward und herabgesandt ward zu euch; und unser Gott und euer Gott ist ein einiger Gott, und in ihm sind wir ergeben (muslim).”
Angeblich haben aber die Schriftbesitzer – Juden und Christen – die Heilige Schrift an verschiedenen Stellen verfälscht.
Darum stellt M. ihnen die Frage:
Sure 3,63f.:
„O Volk der Schrift, weshalb verleugnet ihr die Zeichen Allahs, wo ihr sie doch bezeugt? O Volk der Schrift, weshalb kleidet ihr die Wahrheit in Lüge und verbergt die Wahrheit wider euer Wissen.“
Hat M. zunächst in der Zeit, als er noch Anlehnung und Unterstützung bei den Juden suchte, freundlich das Verbindende herausgestellt, so wird in dem Maße, wie er seine Position in Medina festigen konnte, seine Distanzierung von den Juden und auch von den Christen deutlicher.
Das drückt sich beispielhaft aus in der Stellung des Korans zu Abraham. Abraham ist der Stammvater der Juden, er ist das großes Glaubensvorbild der Christen, und er ist über seinen zweiten Sohn Ismael auch der Stammvater der Muslime. M. auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt, verkündet:
Sure 3,60f.:
„Abraham war weder Jude noch Christ; vielmehr war er lauteren Glaubens, ein Muslim …
Siehe, diejenigen Menschen, die Abraham am nächsten stehen, sind wahrlich jene, die ihm folgen, und das sind der Prophet (M) und die Gläubigen. …“
Zweitens: Drei zentrale Säulen christlicher Verkündigung werden von M. radikal infrage gestellt:
- Jesus als Sohn Gottes,
- der Sühnetod Jesu am Kreuz,
- die Aussagen über die Trinität.
Die Ablehnung der Aussage: Jesus sei der Sohn Gottes
Sure 9,30:
„Und es sprechen die Juden: „Esra ist Allahs Sohn”.
Und es sprechen die Nazarener: „Der Messias ist Allahs Sohn”.
Solches ist das Wort ihres Mundes.
Allah schlag’ sie tot! Wie sind sie verstandeslos!“
Sure 19, 91-93:
„Und sie sprechen: ‚Gezeugt hat der Erbarmer einen Sohn’.
Wahrlich, ihr behauptet ein ungeheuerlich Ding.
Fast möchten die Himmel darob zerreißen, und die Erde möchte
sich spalten, und es möchten die Berge stürzen in Trümmer,
Daß sie dem Erbarmer einen Sohn zulegen, dem es nicht geziemt,
einen Sohn zu zeugen.“
Dagegen das Zeugnis der Bibel im 1. Johannesbrief, Kapitel 5:
„Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat dieses Zeugnis in sich.
Wer Gott nicht glaubt, der macht ihn zum Lügner; denn er
glaubt nicht dem Zeugnis, das Gott gegeben hat von seinem Sohn.
Und das ist das Zeugnis, das uns Gott das ewige Leben gegeben hat,
und dieses Leben ist in seinem Sohn.
Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat,
der hat das Leben nicht.“
(1. Johannes 5,10-12; vgl. auch 1. Johannes 2.22-23)
Die Ablehnung des Kreuzes Jesu
Sure 4,156:
„Und weil sie sprachen: ‚Siehe, wir haben den Messias Jesus,
den Sohn der Maria, den Gesandten Allahs, ermordet’ –
doch ermordeten sie ihn nicht und kreuzigten ihn nicht,
sondern einen ihm ähnlichen – … darum verfluchen wir sie.“
Die Kreuzigung Jesu kann es nach M. nicht gegeben haben, da Allah in seinen Propheten gegenüber ihren Feinden immer siegreich ist.
Gott verteidigt diejenigen, die glauben (Sure 22,38).
Gott hilft denjenigen, die angegriffen werden (Sure 22,39).
„Aber bestimmt wird Gott denen, die ihm helfen, ebenfalls helfen.
Er ist stark und mächtig.“ (Sure 22,40)
Die Kreuzigung Jesu würde dieses Hauptdogma im Koran infrage stellen und darüber hinaus auch die Allmacht Gottes.
Auch der Gedanke, daß Christus am Kreuz für die Sünden der Menschen gestorben ist, lehnt der Koran ab. Es sei völlig ausreichend, wenn Allah die Sünden vergibt.
Der Koran leugnet damit eine zentrale Aussage des Evangeliums.
Die Ablehnung der Trinität
Sure 4,169:
„O Volk der Schrift, überschreitet nicht euren Glauben und sprecht von Allah nur die Wahrheit. Der Messias Jesus, der Sohn der Maria, ist der Gesandte Allahs und sein Wort, das er in Maria legte, und Geist von ihm. So glaubt an Allah und an seinen Gesandten und sprecht nicht: ‚Drei’.“
Sure 5,77:
„Wahrlich, ungläubig sind, die da sprechen:
‚Siehe, Allah ist ein dritter von drei’.
Aber es gibt keinen Gott denn einen einigen Gott.
Und so sie nicht ablassen von ihren Worten, wahrlich,
so wird den Ungläubigen unter ihnen schmerzliche Strafe.“
Anders der Befund im Neuen Testament. Besonders markant die Stelle am Ende des Matthäus-Evangeliums – der sog. Missions- bzw. Taufbefehl:
Jesus sprach zu seinen Jüngern:
„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker:
Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes
und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles
was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei
euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matthäus 28,18-20)
Bedingt ist die schroffe Ablehnung der Trinität bei den Muslimen durch das Mißverständnis, die Christen würden drei Götter anbeten und damit den klaren, eindeutigen Monotheismus verraten.
Unterschiede zwischen der Bibel und dem Koran gibt es nicht nur in der Glaubenslehre (Dogmatik), sondern auch in den Anleitungen zum Handeln (Ethik) – z.B. in der Beurteilung der Stellung der Frau oder in der Beurteilung der Gewaltanwendung.
Nachdem ich nun beides – das Verbindende und die Unterschiede – aufgrund der Aussagen von Bibel und Koran dargestellt habe, möchte ich darüber sprechen, welche Konsequenzen dieser Befund hat.
Ich nenne zwei ganz wesentliche: Dialog und Toleranz.
Drittens: Dialog und Toleranz
Damit es keine Mißverständnisse gibt: Dialog und Toleranz sind nur möglich auf der Grundlage von Wahrheit und Liebe. Das ist die Voraussetzung.
Die Wahrheit gebietet, daß man sich nichts vormacht: es gibt Verbindendes, aber leider auch Trennendes in zentralen Aussagen.Die Liebe zum Mitmenschen als Geschöpf Gottes – ganz gleich, welcher Religion, welcher Nation, welcher Rasse – verbietet den Haß und die Gewalt gegen Menschen, die anders sind.
Ich bin dankbar, daß besonders nach dem 11. September in Deutschland Staat und Kirche alles getan haben, um keine Pogromstimmung gegenüber muslimischen Mitbürgern aufkommen zu lassen. Ich halte aber nichts davon, daß einige meinen, Christen und Muslime müßten nun gemeinsame Gottesdienste halten. Nach dem soeben Gesagten würden wir damit der Wahrheit dienen und viele fromme Muslime und ebenso viele fromme Christen in Konflikte bringen. Es gibt einen besseren Weg, die Verbundenheit zu fördern und zu vertiefen. Dieser Weg besteht darin, daß wir aus dem Geist der Wahrheit und der Liebe den Dialog führen und Toleranz üben.
Mit Dialog meine ich ganz einfach das Gespräch und nicht eine Methode der Wahrheitsfindung im Sinne der Dialoge der griechischen Philosophie. Von dort kommt die Auffassung, daß die Wahrheit gefunden werden kann in einem Prozeß. Einer der Gesprächspartner setzt eine These, der andere die Antithese, daraus entsteht die Synthese. Die Synthese kann wieder zum Ausgangspunkt eines neuen Dialogs werden, also zu einer neuen These. In diesem Prozeß, so das philosophische Verständnis von Dialog, gilt der Satz:
Die Wahrheit beginnt zu Zweien.
Genau das bringt das Gespräch zwischen einem frommen Christen und einem frommen Muslim nicht weiter, weil das, was jeder der beiden unter Wahrheit versteht an Aussagen in der Bibel bzw. im Koran heftet, die nicht zur Disposition gestellt werden dürfen und darum von der einen oder der anderer Seite nicht akzeptiert werden können.
Gerade darum ist aber das vertrauensvolle Gespräch notwendig. Wer miteinander spricht, nimmt den andern ernst. Ich könnte auch sagen:
Wo gesprochen wird, wird nicht geschossen.
Wo gesprochen wird, hat der Terror keine Chance.
Gespräche zwischen Christen und Muslimen haben zu allen Zeiten in der Vergangenheit stattgefunden und finden in der Gegenwart statt – sei es auf internationalen Treffen der Religionsvertreter, sei es im persönlichen Austausch zwischen Nachbarn und Freunden. Ein kurzer Blick zurück in die Geschichte:
Petrus Venerabilis, Abt von Cluny (gest. 1156), besorgte die erste lateinische Koranübersetzung, allerdings mit der Absicht, ihn zu bekämpfen.Der große mittelalterliche Gelehrte und Dichter Raimundus Lullus (gestorben 1316, von Muslimen gesteinigt) rief dagegen zum friedlichen Kreuzzug in die Gebiete der Muslime auf (Orient, Nordafrika).Er erreichte einen Konzilsbeschluß – ein Konzil ist die oberste Kirchenversammlung der christlich-katholischen Kirche – über die Einrichtung orientalischer Lehrstühle an den damals vier bedeutendsten Universitäten des Abendlandes: Paris (Frankreich), Oxford (England), Bologna (Italien) und Salamanca (Spanien). Das war der Anfang der Orientalistik und Islamwissenschaft in Europa.
Es ist übrigens kaum bekannt, daß es auch unter den Begründern der evangelischen Kirche – den sog. Reformatoren – Verfechter für eine Auseinandersetzung mit dem Koran gab. Das war in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Hier ist besonders Theodor Buchmann zu nennen, der nach damaligen akademischen Brauch seinen Namen gräzisierte und sich Bibliander nannte. Er war der Nachfolger des Züricher Reformators Ulrich Zwingli. Biblianders Bemühungen um einen Dialog mit dem Islam begannen ganz schlicht damit, daß er anfing, den Koran in die lateinische Sprache zu übersetzen.
In Basel sollte die Übersetzung im Druck erscheinen. Dem Rat der Stadt Basel war dieses Unterfangen zu unheimlich. Er ließ die Druckbogen beschlagnahmen und den Drucker ins Gefängnis werfen. Martin Luther setzte sich höchstpersönlich beim Rat der Stadt Basel ein und erreichte, daß Drucker und Druckbogen freigegeben wurden. Drei Jahre vor Luthers Tod – 1543 – erschien die erste protestantische Ausgabe des Koran mit einer Einleitung, die von Bibliander, Luther und Melanchthon gemeinsam verfaßt worden war.
Das war Ausdruck christlicher Toleranz. Nun haben allerdings die Reformatoren selber diese christliche Toleranz nicht immer vorbildlich durchgehalten.
Es gibt Zeiten, da mag es auch einem Christen schwerfallen, Vertreter anderer Weltanschauungen und Religionen zu tolerieren.Aber es führt kein Weg daran vorbei. Das ist auch ganz im Sinne von Jesus. Er hat das Gespräch mit allen Menschen gesucht, auch mit den Vertretern anderer Weltanschauungen etwa aus der römischen Kultur (Hauptmann von Kapernaum).
Ich kann an dieser Stelle nur aus meiner christlichen Sicht sprechen und ich sagen Ihnen:
Der Christ hat ein Ja zu dem andern, weil auch er ein Geschöpf Gottes ist.Der Christ hat ein Ja zu dem andern auch dort, wo sich das Ja zur Person mit einem Nein zu ihren Überzeugungen verbindet.
Toleranz besteht ja gerade darin, daß ich dem Andersdenkenden meine Überzeugung in Liebe bezeuge und daß ich den andern in seinem Anderssein ertrage und erdulde. Genau diese Bedeutung steckt in dem lateinischen „tolerare”. Man muß nicht die Meinung eines andern teilen, um seine Toleranz unter Beweis zu stellen.
Ich wünsche mir, daß diese kraftvolle Toleranz unsere Begegnungen prägen.Wir haben so vieles, was uns gemeinsam bewegt, was wir gemeinsam tun können, was unsere Beziehungen vertiefen kann.