Foyer, 15. 9. 2006 bis 15.11. 2006
Interview mit Hans-Joachim Frey, dem designierten Generalintendanten des Bremer Theaters Die Fragen stellte: Marie-Clothilde Kronenberg
Herr Frey, das Land blickt wieder einmal gespannt nach Bremen, speziell auf das Schlagzeilen umwitterte Bremer Theater. Diesmal stehen Sie im Rampenlicht, denn Sie haben eine grundlegende Theaterreform für Bremen angekündigt, die von aufgeregten Gemütern bereits als Theaterrevolution bezeichnet wird. Ist Ihre Idee der Theaterreform ausschließlich aus finanzieller Not heraus geboren oder halten Sie Ihren geplanten „Theaterumbau“ grundsätzlich für das Modell der Zukunft?
Ich war schon lange Zeit, bevor ich nach Bremen berufen wurde, überzeugt, dass es Strukturveränderungen an den Deutschen Theatern geben muss. Ein Theater muss genauso wie jedes Unternehmen ein leistungsfähiger, hocheffizienter Betrieb sein, mit modernsten Managementstrukturen. Wir stehen in Deutschland vor großen Herausforderungen und Veränderungen, auch in der Kulturlandschaft. Wenn wir Theaterschaffende uns dem nicht stellen, sehen wir tatenlos zu, wie um uns herum auf Grund a) der Finanzknappheit der öffentlichen Hand sowie b) überbürokratisierter und unflexibler Theaterbetriebe diese nicht mehr zu halten sind und auf Grund der Teuerungen immer mehr Ausgaben haben und plötzlich immer weniger Geld für künstlerische Qualität zur Verfügung steht. Dieses kann dann zu Spartenschließungen führen und schließlich wird sich nicht vermeiden lassen, dass viele deutsche Theater in den nächsten 10 bis 15 Jahren geschlossen werden müssen.
Eine Antwort auf diese Probleme zu formulieren, finde ich als Kulturmanager schon sehr reizvoll. Deshalb war die Bremer Situation für mich eine besondere Herausforderung. Wir haben hier in Bremen die Chance, eine Antwort zu entwerfen, die vielleicht Modellcharakter haben kann. Diese Chance müssen wir nutzen, da müssen wir Theaterfreunde und Unterstützer jetzt offen sein für die Zukunft. Es kann nicht darum gehen, Strukturen zu retten, sondern unser Auftrag ist, Kunst in höchster Qualität zu ermöglichen. Die vorgefundene, aktuelle Situation des Bremer Theaters ist sehr, sehr ernst unter anderem durch weniger finanzielle Mittel und den aktuellen Schuldenabbau. Aber wir haben jetzt die Chance, die Umstrukturierung zu schaffen. Meine ersten Gespräche haben gezeigt: Die Mitarbeiter sind unglaublich hoch motiviert und auch sehr aufgeschlossen für diesen neuen Weg, sie wollen ihn mitgehen und freuen sich auf diese Zeit.
Was haben Sie vor; was wird sich verändern am Bremer Theater?
Es wird sich sehr, sehr viel am Bremer Theater verändern. Aber sehen wir das doch positiv. Ein Theater ist immer zyklisch, Künstler und andere kommen und gehen. Es impliziert gerade den Wechsel. Vor uns liegt ein Feuerwerk an Innovation, neuen künstlerischen Handschriften, aufregenden, spannenden Theater- und Opernabenden mit herausragenden Künstlerpersönlichkeiten. Nach 13 Jahren einer lntendanz sollte man sich einfach auf viel Neues freuen. Ich will im Detail noch nicht verraten, was alles neu sein wird. Natürlich werden wir alles, was gut und erfolgreich läuft, beibehalten. Lassen Sie sich bitte auf uns ein und Sie werden sehr viele positive Überraschungen erleben. Im Moment fühle ich mich manchmal an die Situation heim Fußball erinnert. Als Jürgen Klinsmann antrat als Trainer der Nationalmannschaft, wusste jeder etwas zu kommentieren hinsichtlich des Reformweges, den er einschlug. Erst als er Erfolg hatte, verstummten die Kritiker. Mein Problem ist, dass ich im Moment nur Worte sprechen lassen kann, aber keine Taten. Dies kann ich erst mit Amtsantritt. Vertrauen Sie aber unserer Arbeit. Alles ist wohl überlegt und genauestens konzipiert und wir werden erste Bilanz ziehen nach der ersten Spielzeit 2007/08.
Was darf sich der Theaterbesucher unter Ihrem angekündigten modifizierten Stagione-System vorstellen?
Das italienische Stagione-System bedeutet, dass man eine Premiere ansetzt und hintereinander nur Abende mit diesem Stück spielt. Was wir vorhaben ist das so genannte Semi-Stagione Prinzip. Das wird an vielen deutschen Theatern heute schon praktiziert und hat sich als praktikabel erwiesen: Mehrere Stücke werden en bloc parallel angesetzt und abwechselnd hintereinander gespielt. Das gibt klare wahrnehmbare Strukturen und birgt sehr viele Vorteile in sich. Das heißt zum Beispiel, wenn ein Stück gerade Stadtgespräch ist, dann kann man auch hingehen und sich das ansehen und braucht nicht wochenlang zu warten, bis es wieder mal im Spielplan ist.
Was darf sich der Theaterbesucher unter Ihrem angekündigten modifizierten Stagione-System vorstellen?
Das italienische Stagione-System bedeutet, dass man eine Premiere ansetzt und hintereinander nur Abende mit diesem Stück spielt. Was wir vorhaben ist das so genannte Semi-Stagione Prinzip. Das wird an vielen deutschen Theatern heute schon praktiziert und hat sich als praktikabel erwiesen: Mehrere Stücke werden en bloc parallel angesetzt und abwechselnd hintereinander gespielt. Das gibt klare wahrnehmbare Strukturen und birgt sehr viele Vorteile in sich. Das heißt zum Beispiel, wenn ein Stück gerade Stadtgespräch ist, dann kann man auch hingehen und sich das ansehen und braucht nicht wochenlang zu warten, bis es wieder mal im Spielplan ist.
Ist dieses Modell ein wirksames Lösungsmodul der allgegenwärtigen Finanzprobleme deutscher Bühnen und warum?
Wissen Sie, das allein selig machende Modell gibt es sowieso nicht. Jeder Standort, jedes Theater hat seine eigene Geschichte. Reine große Stagionetheater wie in Italien, Spanien, oder Amerika haben natürlich sehr viel kleinere Kompanien, die weniger spielen und somit natürlich nicht diese großen technischen Apparate haben wie zum Beispiel große Repertoiretempel mit 200 bis 400 Mitarbeitern allein im technischen Bereich. Im Gegensatz dazu ist die Semperoper zum Beispiel, wo ich seit vielen Jahren jetzt als Operndirektor tätig bin, einer dieser Repertoiretempel mit 841 festen Mitarbeitern, aber auch über 450.000 Besuchern im Jahr bei 350 Veranstaltungen, einer Platzausnutzung von 95 Prozent und einem selbst erwirtschafteten Kostendeckungsgrad von über 36 Prozent. Insofern ist die Struktur dort auch effizient und erfolgreich. Weder das italienische Modell noch das Dresdner Modell ist aber auf Bremen übertragbar. Man muss für jeden Standort einfach genau analysieren, was ist hier das beste und effizienteste System. Wir haben dies hier in Bremen genau getan und ich meine, dass unsere erarbeitete Struktur von allen Möglichkeiten die erfolgreichste sein wird. Das ist auch mein Ziel, durch diesen erarbeiteten Strukturwandel die Eigeneinnahmen des Bremer Theaters zu erhöhen, die nämlich zur Zeit nur bei 15 Prozent liegen, in eine Richtung, die wir für machbar und umsetzbar halten, damit wieder mehr Geld für die Kunst da ist.
Es ist schwer vorstellbar, wie ein künstlerisches Betriebsbüro für jede neue Produktion eine jeweils neue ldealbesetzung aus Fachkräften und Nachwuchskräften aus dem Hut zaubern soll. Wie wollen Sie dieses Problem lösen?
Das sehe ich mit großer Gelassenheit. An der Semperoper arbeite ich pro Jahr ungefähr mit 180 bis 200 Sängern im gesamten Repertoire. Und was den Nachwuchs angeht: Ich leite unter anderem ja den Internationalen Gesangswettbewerb der Italienischen Oper „Competizione dell’ Opera“, der dieses Jahr im Juni sein 10-jähriges Jubiläum feierte. In diesem Zusammenhang habe ich 650 junge Sängerinnen und Sänger gehört, beispielsweise in Chicago, New York, Sao Paolo, Mexiko City, St. Petersburg, Moskau, Mailand, Helsinki, Budapest, Prag und verschiedenen Städten in Deutschland. Das hat gezeigt, es gibt weltweit ein Riesenreservoir an wirklich hochbegabten jungen Sängern auf einem unglaublich hohen Niveau. Wenn es uns gelingt, einige davon nach Bremen zu lotsen, kann ich Ihnen eins versprechen: Es wird sich herumsprechen, das Bremen eine Börse wird, wo sich die besten jungen Sängerinnen und Sänger etablieren. Diese konzeptionelle Ausrichtung vertrete ich auch. Bremen soll ein Ort der Begegnung der besten jungen Künstler werden, und von Bremen gehen die als Botschafter raus in die Welt. Wenn es ein Künstler nicht schaffen sollte, sich nach einigen Jahren international zu behaupten, müssen wir uns fragen, ob wir etwas falsch gemacht und ihn ausreichend gefordert und gefördert haben. Dies meinte ich anfangs mit dem gesunden zyklischen Lauf der Dinge in der Welt der Künste. Im Positiven ein Kommen, aber auch ein Gehen.
Sie haben sich unter anderem zum Ziel gesetzt, das Bremer Theater zum gesellschaftlichen Mittelpunkt der Stadt zu machen. Wie dürfen wir uns dies ohne „Theaterfamilie“, ohne vertraute Lieblingsschauspieler, Lieblingssänger etc. vorstellen?
Es wird einen ganzheitlichen Ansatz geben, der so konzipiert ist, dass um jede Stückansetzung herum Veranstaltungen stattfinden werden, die die entsprechende Thematik für alle gesellschaftlichen Schichten speziell aufbereiten wird. Deshalb sprechen wir ja vom Internationalen Kulturforum Bremer Theater. Das ist auch der Grund, warum wir jede Spielzeit thematisch ausrichten werden mit einem Länderschwerpunkt. Dabei ist Deutschland/ Bremen natürlich gesetzt, aber daneben wird es jedes Jahr zwei Nationen geben, eine EU- und eine weitere Nation, die wir herausheben werden und thematisch in den Mittelpunkt stellen. Mit diesen Ländern soll dann das gesamte gesellschaftliche Spektrum beleuchtet werden. Und was die Lieblingssänger und Schauspieler angeht: Die wird es auch weiterhin geben, sogar noch mehr als bisher. Es wird ein Opernstudio mit hervorragenden jungen Sängern/ Sängerinnen geben, daneben feste Ensemblemitglieder und regelmäßig wiederkehrende Gäste. Und im Schauspiel steht ein festes Ensemble im Zentrum. Wichtig ist, zur Familie des Bremer Theaters zu gehören, da spielt es keine Rolle, wie die vertragsrelevante Beziehung aussieht, ob „fest“ oder als Gast.
Die Bremer Philharmoniker suchen derzeit einen neuen Generalmusikdirektor. Die Bremer „Buschtrommeln“ vermelden, dass Sie diese Position – zumindest für die Oper – für verzichtbar halten. Wie dürfen wir die von Ihnen angedachte Konstellation verstehen?
Nein, das sind unbegründete Gerüchte: Natürlich braucht das Musiktheater einen musikalischen Oberleiter, den wird es auch geben, das ist eine wichtige Position. Bisher war Generalmusikdirektor auch Operndirektor des Theaters. Der künftige GMD wird nun nicht mehr extra als Operndirektor ausgewiesen, weil ich diesen Bereich, wie Sie sicher verstehen, selbst mit abdecken werde. Wir erarbeiten jedenfalls gerade eine sehr interessante Lösung und Perspektive mit den Kollegen der Bremer Philharmonie.
Grundlegende Reformen funktionieren bekanntlich selten auf Anhieb. Frankfurt hat bereits schlechte Erfahrungen mit dem “Stagione-Konzept“ vorzuweisen. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür, was hat man dort falsch gemacht?
Es kommt auf die Konsequenz der Umsetzung an, ob man es richtig macht und ob es auf den Standort passt. In Frankfurt war man nicht richtig konsequent. Was Sie hier in Bremen erleben werden, wird wie gesagt kein reines Stagionetheater! Der jetzt erarbeitete Weg des Semi-Stagione ist ein behutsamer Weg, eine Reform im ganzheitlichen Ansatz, die alle Faktoren mit berücksichtigt, die für eine erfolgreiche Neuaufstellung wichtig sind. Erfolgreich sind wir, wenn sich die Bremer mit ihrem Theater identifizieren, wenn man hier auch in Zukunft aufregende Kunst erleben kann. Wichtig ist, dass Sie uns Vertrauen schenken in diesen notwendigen Weg. Wenn wir alle zusammenstehen, dann ist der Weg frei für einen Aufbruch in eine sehr erfolgreiche Zukunft des Bremer Theaters. Und davon werden letztlich alle profitieren: die Stadt Bremen, die Wirtschaftsinstitutionen, letztlich alle. Damit von Bremen schließlich positive Nachrichten über einen erfolgreichen Kulturstandort zu vermelden sind.