Wir sind dankbar und froh, dass vor 90 Jahren engagierte und couragierte Frauen und auch einige wenige Männer ihr Ziel erreicht haben, nämlich das passive und aktive Wahlrecht für Frauen in der Verfassung zu verankern.
Für das Wahlrecht selbst müssen wir uns nicht bedanken, denn es ist das gute und ganz selbstverständliche Recht von Frauen, dass sie passiv und aktiv an Wahlen teilnehmen können. Vor 100 Jahren war das anders. Nichts war selbstverständlich für Frauen: es gab keine gleichen Bildungschancen, der Zugang zu öffentlichen Gymnasien oder gar Universitäten war nicht selbstverständlich. Noch nicht einmal das Versammlungsrecht bzw. das Recht, sich in politischen Vereinen zu organisieren, war selbstverständlich für Frauen und schon gar nicht das Wahlrecht. Alles musste mühsam erkämpft werden.
Was haben sich Frauen damals anhören müssen, weil sie sich für die gleiche Behandlung von Frauen und Männern im gesamten öffentlichen Leben einsetzten? Sie wurden belächelt, sie wurden verhöhnt und verspottet, sie wurden bekämpft, sie wurden verhört, mitunter sogar verhaftet. Suffragetten hießen sie oder Blaustrümpfe. All das ist erst 100 Jahre her. Und doch glaube ich, dass insbesondere Frauen, die heute in den verschiedenen Parlamenten so selbstverständlich mitwirken, dennoch eine klare Vorstellung davon haben, was Frauen damals erlebten und erlitten. Allein die Tatsache, dass es heute noch Gleichstellungsbeauftragte überall in der Republik gibt, zeigt, dass das Werk der Frauenrechtlerinnen von damals keineswegs vollendet ist. Es gibt sie noch immer, die Benachteiligung von Frauen. Leider!
Darum möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich unserer Landesgleichstellungs-beauftragten, Ulrike Hauffe, ganz herzlich für ihren Einsatz danken. Ihre mitunter schwierige Arbeit tut sie mit großem Geschick, mit Augenmaß für das Machbare und mit überparteilicher Neutralität.
1. Geschichtlicher Rückblick
Was geschah in den Jahren vor dem 12. November 1918? Es ist wichtig, dass wir uns vor Augen führen, wie dieser Kampf seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts aussah, denn die tapferen Frauen von damals haben einen Anspruch darauf, dass wir sie nicht vergessen.
Die bekannteste Vorkämpferin für die Rechte der Frauen in dieser Zeit war Louise Otto-Peters (1819 – 1895). Sie stammte aus einer bürgerlichen, wohlhabenden Familie. Ihr Vater war Gerichtsdirektor, zeitweise auch Senator. Durch ihr Erbe und ihre schriftstellerische Tätigkeit war sie finanziell unabhängig und konnte sich sowohl der Märzrevolution 1848/49 als auch den Interessen der Frauen widmen. Viele der ersten Frauenrechtlerinnen hatten einen vergleichbaren bürgerlichen Hintergrund, denn Bildungschancen hatten nur diejenigen, die es sich leisten konnten in privaten Mädchenschulen oder von Hauslehrern unterrichtet zu werden.
Völlig vergessen ist die Tatsache, dass es schon im 18. Jahrhundert erste Vorläufer oder Wegbereiter der Frauenbewegung gab. So z.B. Theodor Gottlieb v. Hippel (1741 – 1796). Er war Stadtpräsident von Königsberg, Schriftsteller und Sozialkritiker. Bereits 1792 veröffentlichte er ein viel beachtetes Buch unter dem Titel:“ „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber“. Darin setzte er sich auf damals noch hoffnungslosem Posten für die Gleichberechtigung von Frauen ein.
Ein halbes Jahrhundert später – nämlich 1849 – hat dann Louise Otto-Peters die erste politisch orientierte deutsche Frauenzeitschrift gegründet. Das Motto hieß: „ Dem Reich der Freiheit werb` ich Bürgerinnen.“ In der ersten Ausgabe schrieb sie: „ Wir wollen unseren Teil fordern: das Recht, das Rein-Menschliche in uns in freier Entwicklung aller unserer Kräfte auszubilden, und das Recht der Mündigkeit und Selbständigkeit im Staat.“
1869 erschien in deutscher Übersetzung ein engagiertes Buch von John Stuart Mill unter dem Titel: „Die Hörigkeit der Frau“, in dem er das Frauenwahlrecht forderte.
1873 verlangte Hedwig Dohm als erste Frau in Deutschland das Frauenwahlrecht. Hedwig Dohm heiratete später Professor Alfred Pringsheim. Ihre Tochter, Katja Pringsheim, wurde die Frau von Thomas Mann.
1879 erschien August Bebels Bestseller „Die Frau und der Sozialismus“ Darin schrieb er:
„Es kann also den Frauen sowenig wie den Männern gleichgültig sein, wie unsere sozialen und politischen Verhältnisse beschaffen sind. Fragen zum Beispiel wie die: Welche innere und welche äußere Politik gehandhabt wird, ob eine solche Kriege begünstigt oder nicht, ob der Staat jährlich Hunderttausende von gesunden Männern in der Armee festhält und Zehntausende ins Ausland treibt, ob die notwendigsten Lebensbedürfnisse durch Steuern und Zölle verteuert werden und die Familie um so härter treffen, je zahlreicher diese ist, und das in einer Zeit, in der die Mittel zum Leben für die große Mehrzahl äußerst knapp bemessen sind, gehen die Frau ebenso nahe an wie den Mann… Das Erziehungssystem ist für sie vom höchsten Interesse, denn die Art der Erziehung entscheidet in hohem Grade über die Stellung ihres Geschlechts; als Mutter hat sie daran ein doppeltes Interesse.“
1891 übernahm die SPD als erste deutsche Partei die Forderung nach einem Frauenwahlrecht in ihr Programm.
1892 gründete und leitete Clara Zetkin die sozialdemokratische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ und gehörte in den Folgejahren zu den engagiertesten und radikalsten Frauenrechtlerinnen.
Wie schwer es damals für Frauen war, ihren berechtigten Anspruch auf Bildung durchzusetzen, wird aus einem Gesuch deutlich, dass Katja Pringsheim, Tochter von Hedwig Dohm schrieb, um 1901 zum Abitur zugelassen zu werden:
„Ich, Katja Pringsheim, richte auf Grund der folgenden Mitteilungen das Gesuch um Zulassung zu der im Sommer 1901 stattfindenden Absolutorialprüfung des humanistischen Gymnasiums. Mit diesem Gesuch verbinde ich die gehorsamste Bitte, zur Ablegung der Prüfung, wenn möglich, dem Wilhelmgymnasium in München zugewiesen zu werden, da mein Zwillingsbruder Klaus gleichzeitig Prüfung an dieser Anstalt machen wird…Vom Herbst 1892, wo mein Bruder auf das Gymnasium kam, wurde ich, vollständig parallel mit ihm, in allen Lehrgegenständen des humanistischen Gymnasiums unterrichtet. Einen gefälligen Bescheid bitte ich mir Arcisstr.12 zustellen zu wollen. Gehorsamst Katja Pringsheim“
1902 gründeten Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann den „Deutschen Verein für Frauenstimmrecht, nachdem wenige Jahre zuvor schon das so genannte „Segment“ geschaffen worden war, das heißt, ein abgetrennter Teil des Saales, in dem die Frauen den Männern wohl zuhören, aber nicht selber reden durften.
Noch im Dezember 1907 erklärte der Abgeordnete Bindewald von der Deutschen Reformpartei bei der Beratung des Vereingesetzes im Reichstag: „Die Frauen gehören ins Haus, und wir wollen nicht, dass die Frau von ihrer idealen Stellung, die sie als Mutter und Erzieherin der kommenden Generation hat, herabsteigt in das Getriebe des politischen Lebens.“
In Preußen und anderen Staaten galten von 1850 bis 1908 Vereinsgesetze, die Frauen die Mitgliedschaft und Mitarbeit verboten haben: politische Organisation war verboten für „Frauenspersonen“, „Geisteskranke“, „Schüler“ und „Lehrlinge“. Wenn man diese Kämpfe, die in fast allen europäischen Staaten virulent waren, berücksichtigt, war es ein großer Erfolg, dass am 12. November 1918 – also genau vor 90 Jahren – das Frauenstimmrecht durch den Rat der Volksbeauftragten proklamiert wurde und am 19. Januar 1919 in Weimar die Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung stattfand. 300 Frauen kandidierten, 37 Frauen wurden schließlich gewählt. Die meisten Frauen (25) gehörten zu den beiden sozialdemokratischen Parteien.
Es war auch eine Sozialdemokratin, Marie Juchacz, die in einem deutschen Parlament erstmalig spricht, nämlich am 19. Febuar 1919.
Schon die Anrede, „meine Herren und Damen“, löste Heiterkeit im Parlament aus. Zuvor brauchte man keine Damen anzureden. Juchacz betont gleich am Anfang ihrer Rede: „Ich möchte hier feststellen und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ In der Rede heißt es weiter: „Wir Frauen sind uns sehr bewusst, dass in zivilrechtlicher wie auch in wirtschaftlicher Beziehung die Frauen noch lange nicht die Gleichberechtigten sind. Wir wissen, dass hier noch mit sehr vielen Dingen der Vergangenheit aufzuräumen ist, die nicht von heute auf morgen aus der Welt zu schaffen sind. Es wird hier angestrengtester und zielbewußtester Arbeit bedürfen, um den Frauen im
staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Leben zu der Stellung zu verhelfen, die ihnen zukommt.“
2. Wo stehen wir heute?
Man muss zunächst neidlos anerkennen, dass den sozialdemokratischen Frauen in dieser ersten Welle der Frauenbewegung eine maßgebliche und hoch anzuerkennende Rolle zukommt.
Wir konstatieren aber auch – und das konnte Marie Juchacz natürlich noch nicht wissen -, dass die erste Bundeskanzlerin in unserem Land der CDU angehört. Und wenn man z.B. an Rita Süssmuth oder Ursula v. der Leyen denkt, dann wird deutlich, dass nicht nur Sozialdemokratinnen, sondern sehr wohl auch Christdemokratinnen viel für die Sache der Frauen getan haben und noch tun.
Trotzdem bleibt für die Zukunft viel Arbeit: In vielen Bereichen unserer Gesellschaft, insbesondere in Spitzenfunktionen gibt es noch immer viel zu wenig Frauen. „Top-Managerinnen genießen in Deutschland noch immer Seltenheitswert“, titelte die Wirtschaftswoche vom 4. August 2008. Und weiter heißt es: „ Willkommen in der Macho-AG. In Sachen weibliches Top-Management ist Deutschland ein Entwicklungsland. Gerade mal ein Prozent aller Vorstandsposten der größten deutschen Unternehmen ist mit einer Frau besetzt, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im vergangenen Jahr herausgefunden hat.“
Man kann es der Wirtschaft vorwerfen, dass Frauen allenfalls im mittleren Management angekommen sind, aber keineswegs in den Spitzenfunktionen. Ich weise nur darauf hin, dass es z.B. in den Medien und den Gewerkschaften kein bisschen besser aussieht. Und was die Anzahl von C 4 Professorinnen angeht, ist die Bilanz ebenfalls enttäuschend. (10% 2006)
Wir wollen aber im eigenen Spielfeld bleiben, der Politik: 32,1% der Abgeordneten im Deutschen Bundestag sind Frauen. 1919 gab es in der Nationalversammlung 37 Frauen von 423 Abgeordneten (= 8,75%). Hier kann man einen deutlichen Fortschritt verzeichnen. Anders sieht es im Hinblick auf Ministerposten in Berlin aus oder bei den Ministerpräsidenten.
Darum beunruhigt es uns, wenn vor wenigen Tagen, nämlich am 8. November 2008, im Weser Kurier unter der Überschrift: „Der Trend geht zum echten Kerl“ , „Männer sollen wieder Männer sein“, Bezug genommen wird auf ein Buch von einem sog. Männerforscher, Walter Hollstein, der einen Trend zurück zu klassischen männlichen Eigenschaften ausgemacht haben will.
Nein, wir wollen keine Rolle rückwärts der Männer. Wir sind froh, dass sich nicht nur das Rollenverständnis von Frauen geändert hat, sondern auch das der Männer. Wir sind sie leid, die Patriarchen, Machos und Chauvis. Wir
wollen auch keine Softies, sozusagen Däumlinge in den Taschen der Frauen. Diese Alternativen sind einfach falsch. Partnerschaftliches Zusammenarbeiten und Zusammenhalten in Familie und Beruf ist das Gebot der Stunde.
Kontraproduktiv war auch der Vorfall in der St. Martini-Gemeinde, Bremen, Frauen im Jahr 2008 das Kanzelrecht zu verwehren. Das ist bezogen auf die Evangelische Kirche ein Rückschritt. Das wollen wir nicht. Dieses Ereignis ist auch deshalb bedauerlich, weil gerade auf dieser Kanzel 1904 die erste Frau in Deutschland gepredigt hat, nämlich eine amerikanische Predigerin, Anna Howard Shaw.
Wir müssen wachsam sein und mit Engagement und Maß überall dort, wo Frauen noch immer auf gleiche Rechte warten, diese einfordern. Dazu gehört z.B.: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Diese selbstverständliche Forderung ist definitiv auch in der Bundesrepublik noch nicht hinreichend eingelöst.
Wir sind es den Frauen selbst und den vielen Frauenrechtlerinnen der Vergangenheit schuldig, dass wir diese Gleichbehandlung von Männern und Frauen weiter voranbringen. Dass wir dabei auf Widerstände stoßen, wissen wir. Allerdings sind sie zum Glück schwächer geworden. Wenn wir Erfolg haben wollen, geht es auch nicht ohne die Männer, auch das dürfen wir nicht vergessen. Durch manche radikal feministische Position wurde das Rad überdreht und dadurch wurden nicht selten mehr Probleme geschaffen als gelöst. Politische Arbeit bleibt ein Bohren dicker Bretter. Frauen und Männer brauchen dafür Beharrlichkeit, viel Geduld und noch mehr konsequentes Handeln.
Indem wir uns an den Tag der Einführung des Frauenwahlrechtes am 12. November 1918 erinnern, wird deutlich, dass den Frauen damals nichts in den Schoß gefallen ist. Heute ist es insgesamt leichter geworden. Und je mehr sich Frauen in alle politischen Themen, nicht nur in die so genannten Frauenthemen, wie z.B Soziales, Bildung, Wissenschaft inhaltlich einmischen, um so besser sind die Chancen für Frauen, auf allen politischen Ebenen mitzuwirken.
Elisabeth Motschmann
12. November 2008